Joseph Beuys einziges Monument im öffentlichen Raum ist diesen Sommer im Museum Kurhaus Kleve zu sehen
Das blaue Tempo-Lieferdreirad, das da im Januar 1959 über niederrheinische Landstraßen rattert, ächzt unter seiner Last. Hinter dem Steuer sitzt der junge Architekt Ernst J. Althoff, an seiner Seite sein Studienfreund Joseph Beuys. Und hinten auf der Ladefläche liegt ein Monument im Rohbau. Nach der Kaffeepause auf halbem Weg bei des Künstlers Tanten, liegen noch vierzig Kilometer vor den Männern, deren Ziel das alte Kurhaus Kleve ist. Beuys darf einige der leer stehenden Räume als Atelier nutzen, und will dort das Ehrenmal für die Gefallenen beider Weltkriege aus Büderich fertigen, für das er den Zuschlag erhalten hat. Drei Mitbewerber hatte er aus dem Feld geschlagen, unter ihnen auch Ewald Mataré, sein Lehrer an der Kunstakademie Düsseldorf. Von ihm löst er sich in dieser Phase seines Schaffens und ist auf dem Sprung, einen neuen Kunstbegriff zu entwickeln. Es ist Beuys’ einziges monumentales Werk im öffentlichen Raum geblieben, und umso besorgter verfolgte man in den letzten Jahren die Veränderungen an dessen Materialien Holz und Eisen. Jüngst nun, im 30. Todesjahr des charismatischen Künstlers, dessen Geburtstag sich am 12. Mai zum 95. mal jährt, wurde die zweiteilige Skulptur abgebaut und in der Restaurierungswerkstatt des Rheinischen Amts für Denkmalpflege eingehend untersucht und behutsam restauriert.
Eigentlich wünschte Beuys sich rund 500 Jahre altes Holz, aus dem die einzelnen Elemente gearbeitet werden sollten. Er ging gerne mit dem Naturmaterial um, wie etwa ein sonderbarer, grob geschnitzter Holzlöffel aus der Studienzeit des Mataré-Meisterschülers zeigt. In den Holzlagern der Region war aber nur ein 150 Jahre alter Eichenstamm mit 90 Zentimetern Durchmesser und einer Länge von fünf Metern aufzutreiben. Dieser wurde in fünf Bohlen, 14 Zentimeter stark, eingeschnitten.
Beuys’ Entwurfsskizzen beziehen sich auf die Architektur des alten Kirchturms, für dessen Maueröffnung er zwei Torflügel vorsieht. Zwei archaisch anmutende geschmiedete Beschläge für das Tor korrespondieren mit dem für den Innenraum gedachten Auferstehungssymbol aus dem gleichen antiken Holz: Kreuz und Korpus gehen ineinander auf.
„Die Zeit teilt sich den Dingen mit“, zitiert Ernst Althoff Hans Schwippert, seinen Lehrer an der KA Düsseldorf, und berichtet von Gesprächen mit seinem Freund Beuys, in denen der Verfall der gestalteten Welt diskutiert wurde. „Er hat das allmähliche Vergehen des Naturmaterials mitgedacht und akzeptiert“, erläutert Althoff. Diese Erinnerung hellte die nüchterne Arbeitsatmosphäre unter den Experten in der Pulheimer Werkstatt auf. Sie befingerten die Risse im Holz. „Licht frisst Holz“, weiß Althoff und berichtet weiter, dass Beuys einmal, gerade mit einem Keilmesser die Namen der 222 Gefallenen in die Holzoberfläche schnitzend, bemerkt hätte: „Es ist naturgegeben, dass die Namen verschwinden werden.“ Er hat die Anfangsphase des Auftrages gut im Gedächtnis, in der Beuys die Reduzierung auf zwei Werkstoffe – Holz und Eisen – auch auf die Ausführung der Objekte in der Krefelder Tischlerei von Johannes Althoff übertragen wissen wollte. Das bedeutete den Verzicht auf Holzschutz-Anstriche ebenso wie auf Maschinen. Ob diese Beschwörung der Handarbeit eine Verneigung vor Mataré war, der ja hin und wieder von der mittelalterlichen Bauhütte geträumt hatte, in der Zimmerer, Schmied und Schnitzer gemeinsam ein Werk schufen?
Da die gegebene Bohlenbreite für die der „Arme“ des Auferstehungssymbols nicht ausreichte, mussten die Tischler diese aus mehreren Teilen zusammensetzen. Beuys erkannte diese Schwachstelle und entließ die Handwerker aus der Haftung. Just diese Stücke fielen wohl zwischenzeitlich ab, denn die Fachleute entdeckten bei ihrer Untersuchung notdürftig angenagelte Teile.
Der Taubenkot wurde behutsam manuell entfernt, ebenso wie ein nachträglich aufgetragenes Holzschutzmittel. Die Risse im Holz wurden belassen, die Schadstellen wurden nicht unsichtbar gemacht. Das Monument zeigt sich nicht „wie neu“ sondern in seiner Vergänglichkeit.
Das Beuys-Monument wird im Rahmen der Ausstellung „Werklinien“ mit anderen Schlüsselwerken bis 4. September in jenem Klever Museum gezeigt, das 1997 im restaurierten Kurhaus eröffnete und seit 2012 über eine Beuys-Dauerausstellung in den einstigen Atelierräumen verfügt.
IRMGARD BERNRIEDER
Bild: Schwebende Figur, das die Kreuzform andeutet; innerer Teil des Ehrenmals