Mehr als wir sehen

Karin Kneffel, o.T. (1923)

Das Museum Kurhaus Kleve zeigt Karin Kneffel

„Karin Kneffel hat uns das Gesicht des Jesuskindes sichtbar gemacht“, begeistert sich eine Musemswärterin und zeigt auf eine Holzskulptur der Jungfrau Maria und ihres Erstgeborenen von Ewald Mataré, die erhöht an der Musemswand hängt. In zwei malerischen Abbildern des exotisch anmutenden Marien-Antlitzes und des Neugeborenen-Gesichts rückt die Künstlerin ihrem „Vorbild“ auf den Leib und gibt uns gleichzeitig in ihrer Hommage an den berühmten Vorgänger einen Fingerzeig für ihre neue Werkgruppe in der jüngst eröffneten Ausstellung „Face of woman. Head of Child“ im Kurhaus-Museum Kleve. Das Auge wandert über Diptychen, auf denen jeweils ein Muttergesicht einem Kinderporträt beiseite estellt ist.

Mit ihren überdimensionalen Fruchtbildern machte sich die aus dem Recklinghausen stammende und in Düsseldorf lebende Künstlerin einen Namen und gilt mittlerweile europaweit als eine der bedeutendsten zeitgenössischen Malerinnen. Umso mehr überrascht ihre neue Werkserie, in der sie erstmals Menschenbildnisse aufs Bild bannt: Kneffel malte nach Fotografien von mittelalterlichen Muttergottes-Statuen, die sie auf ausgedehnten Reisen in Süd- und Norddeutschland gemacht hatte. Abbilder des in der Kunstgeschichte wohl am häufigsten gestalteten Frauengesichts und des Jesuskinds. Die Künstlerin legt die heilige Frau quasi unters Vergrößerungsglas als hoffe sie, ihr so das Geheimnis ihrer Mutterschaft zu entreißen. Eine Art Reihenuntersuchung auch des kindlichen Gottes, der, noch geborgen auf dem mütterlichen Schoß, in seine unausweichliche Zukunft schaut. Ein Diptychon den Porträts einer jungen Frau und ihres Kindes gewidmet, und die Künstlerin reiht sich mit einem Selbstporträt samt Söhnchen in diese Serie ein. Auch KI ist im Spiel in Gestalt eines Madonnenantlitzes mit kurios verzerrten Gesichtszügen und eines maliziös lächelnden Jesusgesichts.

Kneffel reißt die Einheit der Holzskulptur auf, trennt Mutter und Kind, um sie dann in gemalten Bildpaaren weder in eine künstliche Nachbarschaft zu stellen. Das Moment des Überwirklichen verstärkt die Malerin durch farbliche Verfremdungen der Gesichter. Neben der Vergrößerung „entstellt“ auch diese farbliche Überarbeitung die Porträtierten und entrückt sie gleichsam der bloß ästhetischen Betrachtung. Die effektvolle, artistisch genaue Abbildung des einzelnen Gesichtsausschnitts macht ihn zum Schauplatz tiefer Gefühle wie Liebe, Hingabe und Zuversicht, Schmerz und Trauer.

Geschnitzte mittelalterliche Figuren aus der Musemssammlung stehen wie Besucher gegenüber der Werkreihe und bilden eine zuusätzlich Projektionsfläche für diese.

In einer anderen Serie entrücken digital bearbeitete Hintergrundstrukturen Jesuskind-Statuen in surreale Räume.

Durch ihre schiere Größe ins Reiche der Phantasie erhoben, erscheinen die Fruchtbilder, vor denen der Betrachter Kneffels malerische Kunstfertigkeit bestaunt, das in den Weinbeeren funkelnde Licht oder die samtene Pfirsichhaut. In welcher Welt gedeihen diese Riesen-Weinbeeren und wandhoch sich türmende Pfirsiche? Einmal schwebt eine Rebe vor einer düsteren Meereslandschaft, die aber wohl einem Algorithmus entstammt wie auch der Hintergrund der Bilder von Jesuskind-Statuen.

Die Ausstellung ruft ältere Werkgruppen in Erinnerung wie etwa ihre Kerzen-Hommage (an Gerhard Richter) oder ihr Treppenteppich-Motiv, das sie im heute als Museum genutzten, von Mies van der Rohe entworfenen Haus Lange fand.

Eine ganze Wand nimmt eine Foto-Dokumentation der Art ein, wie man sie von bedeutenden Künstlern kennt; zu sehen ist Karin Kneffel bei der Arbeit im Atelier. Das verstärkt den Eindruck, dass die Künstlerin um Bedeutung heischt und um einen gültigen Platz in der Kunstgeschichte ringt.

Die Ausstellung läuft im Museum Kurhaus Kleve bis 18. Februar 2024, danach im Museum Franz Gertsch Burgdorf.

www.mkk.art

Ohne Titel  steht unter diesem Selbstporträt der Künstlerin in jüngeren Jahren, als ihr Sohn noch ein Baby war.

 

 

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