Sharon Eyal und der S-E-D-Kompanie bei der Ruhrtriennale
Zeit vergeht nicht, der Mensch schon, und so kommt jede Feier des Lebens dem Tod ganz nah. Das führt uns Sharon Eyals neues Projekt „Tanz des Lebens“ eindrucksvoll vor Augen. Die achtköpfige Tanzgruppe versetzte die Besucher auf der voll besetzten Zuschauertribüne der Jahrhunderthalle Bochum mit ihrem harmonischen, gleitenden und schwebenden Ganzen, in exzentrischen Haltungen und rhythmischen Bewegungen der einzelnen Tänzerinnen und Tänzer und durch außergewöhnliche, artistische Verrenkungen ihrer Arme und Beine, die aus ihrem Inneren zu fließen schienen, in jene „Beseeligungsmomente“, die Peter Handke „Augenblicke der Ewigkeit“ nennt. Diese Tanz-Arbeit aus dem Inneren der Körper erzeugte eine Art Verdoppelung, Verlangsamung – Ruhe.
Wenn der hohe, dunkle Vorhang sich öffnet, der den Tanzboden dreiseitig bis zur Hallendecke umschließt, wiegen sich die Tanzenden in der Endlosschleife eines einzigen Walzertakts, als gelte es, die ganze Welt zum Schwingen zu bringen. Hin und her, und her und hin. Einmal sehen wir einer changierenden Wolke unterschiedlichster Einzelbewegungen zu, dann wieder treten einzelne Protagonisten aus der synchronen Bewegung aller heraus.
Der Referenzen viele spielen in den knapp sechzig Minuten der Aufführung mit: Seien es die Gestalten der Tanzenden in ihren fleischfarbenen, von Narben überzogenen Ganzkörper-Trikots, die den Phantasiewesen in Hieronymus Boschs „Garten der Lüste“ ähneln, oder die aus dem Hintergrunddunkel auftauchenden Schemen der Tänzerinnen und Tänzer, die an Eadward Muybridge und seine vorfilmischen Bewegtbilder mit dem Zoopraxiskop denken lassen. Der künstliche Avatar-Körper wird in kurzen abrupten Unterbrechungen eleganter Gesten oder dem plötzlichen Zittern eines Gliedmaßes beschworen, und die geziert gespreizten Finger der Tanzenden erinnern an höfisches Rokoko-Ringelein.
Die vier Paare demonstrieren äußerste Beweglichkeit zwischen Gravitation und Levitation im Takt der wechselnden Musiken, jede Faser des Körpers scheint zum Zerreißen angespannt und darum bemüht, diesen Zustand zu halten: vibrierendes Flattern des Kolibri vor der Blüte.
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