Freuden und Leiden von Schlossbesitzern

Familie Atock restaurierte das Baudenkmal Leyenburg.

17-Uhr-Drink unter Auroras Lächeln

Die prächtig restaurierte Leyenburg. In einem Haus im Park stehen auch Gästezimmer zur Verfügung. Foto: Hans-Ulrich Kress
Die prächtig restaurierte Leyenburg. In einem Haus im Park stehen auch Gästezimmer zur Verfügung. Foto: Hans-Ulrich Kress

„Wir haben das Haus erworben und bewohnen es, um ihm sein ursprüngliches Gesicht wieder zu geben, aber besitzen kann man ein solches Anwesen nicht“, stellt Martin Atock bescheiden und uneitel aber bestimmt fest. Leger sitzt er am einen Ende eines langen Tischs im Esszimmer seines Hauses. Ein prächtiger Rokoko-Saal wurde kurzerhand dazu erklärt. Der Besucher weiß vor bezaubernden Details nicht, wohin er zuerst schauen soll. Seine Ehefrau Inez van Tienhoven hat uns auf der Steintreppe vor dem hohen Portal begrüßt. Wir sind auf Schloss Leyenburg. Das einstige Herrenhaus liegt wenige Minuten entfernt von der Gemeinde Rheurdt am Niederrhein. 1772 wurde das Gebäude an Stelle des älteren Vierkanthofes Haus Kiekenhorst errichtet, den der Seidenbaron Friedrich von der Leyen damals von der Familie Freneau erwarb. Die früheste Erwähnung des Hofes datiert von 1349, und nun nennt seit 2001 die Familie Atock die Anlage ihr Eigen und hat sie mit außergewöhnlichem Einsatz vor dem sicheren Verfall gerettet. Dafür erhielt sie 2004 den Rheinischen Denkmalpreis.
Von der Straße aus hat das dreistöckige Bauwerk wenig Herrschaftliches, und ruft zunächst eher Erstaunen denn Bewunderung hervor. Aber schon das schmiedeeiserne Tor, durch das man auf das weitläufige Gelände mit Parkanlagen rund ums gelbe Haus und einen See gelangt, verspricht mehr.
Ein Stern ist in den Steinfußboden des Foyers eingelassen, ein Blumenstrauß prangt in einer der leeren Wandnischen, in denen vielleicht früher einmal Götterstatuen die Gäste begrüßten. Zur Linken windet sich eine frei tragende dunkle Holztreppe hinauf zur Bel Étage, und vor Kopf flankieren zwei Säulenpaare aus matt glänzendem Gips-Marmor die zweiflügelige Tür zum Jagdsaal. Ein drittes Säulenpaar ist architektonisch nicht zuzuordnen, eine Kapriole des Architekten, um der in seiner Epoche so modischen Asymmetrie spielerisch Ausdruck zu verleihen?„Einfach kurios“, lacht Inez van Tienhoven.
Das Jagdzmmer: Feinblättrige Blütengirlanden, Blattranken und Muschelornamente – hahnenkammartig, mit C-Schwung oder in S-Form – aus weißem Stuck umrahmen Fensteröffnungen, Spiegel, Medaillons, hellgraue Tableaux und Vertäfelungen aus schilfgrünem Marmor. Anmutig mit goldenen Linien gehöht, verzieren sie Decke und Rosetten, bleiben bei aller Lebhaftigkeit aber in der Fläche gebunden. Im ersten Stockwerk liegt in der Mitte der Spiegelsaal, dessen Wiederherstellung mit Herren- und Damensalon zur Rechten und Linken die Restaurierung im Sommer 2006 abschloss. 13 Räume – darunter einer, in dem einst die Gemäldesammlung der Familie von der Leyen mit Werken der Düsseldorfer Malerschule untergebracht war – sind seither von der Familie mit Beschlag belegt.
Die Spannung war groß: Welche Bilder kommen wohl unter den Schichten zum Vorschein, denen Spezialisten vom Landesamt für Denkmalschutz in kleinen Zonen bereits auf den Grund gegangen waren? Dunkle Rechtecke zeigten den ursprünglichen Malgrund, ohne jedoch Einzelheiten zu verraten. Die Schatzsuche ging immer weiter. Aurora, die Göttin der Morgenröte, kam zuletzt zum Vorschein: Hingehaucht thront sie inmitten puderfarbener Wolken im seidenblauen Himmel des runden Deckengemäldes im Spiegelsaal. Ein Kranich, weist als Wappentier auf die Familie von der Leyen. Durch einen Wasserschaden hing die Decke etwa einen Meter durch. Um das Kunstwerk zu retten, waren hoher Sachverstand und noch mehr Erfahrung gefragt. Das Restauratorenpaar Maria Gembala-Dauksza und Ludwig Dauksza, das in hohem Maß über beides verfügt, konstruierte kurzerhand eine überdimensionale Walze und rollte von einem Gerüst aus das Gemälde mit Japanpapier und Gelatine ab. Im Düsseldorfer Atelier wurde es dann innerhalb eines Monats wieder hergestellt und an der Decke appliziert. Die stoffliche Zusammensetzung der unzähligen Stuckornamente überraschte die Daukszas: Das Gemisch aus Leim, Kreide und Gips erwies sich als besonders hart, trocken und anfällig für Feuchtigkeit. Industriell vorgefertigte Einzelteile waren ursprünglich zu Girlanden und anderen Ornamenten zusammengefügt worden. „Der Eklektizismus, der hier verschiedene Stile vermengt, ist typisch für die Entstehungszeit des Hauses“ erklärt Maria Gembala-Dauksza. Die Blumenstilleben der Supraporte waren mit vier Farbschichten übermalt, alle Spiegel grau überstrichen. Vielleicht wollten die Besitzer das Raumdekor so in Kriegszeiten vor Zerstörung und Diebstahl bewahren, vermuten die Spezialisten, die sich als wahre Detektive erwiesen. Wahrscheinlich wurden die Stoffe der Wandbespannung im Damenzimmer in der Krefelder Manufaktur der von der Leyens speziell für diesen Zweck gefertigt. Im Herrenzimmer fehlen die Stoffe, wurden irgendwann herausgeschnitten. Alle Holzflächen hat man so bemalt, dass sie die Anmutung von Edelholz aufweisen.
Tausende von Stunden hat die Familie mit dem Skalpell in der Hand verbracht. Mit äußerster Behutsamkeit wurden zahllose Anstrichschichten vom Stuckdekor entfernt, nicht enden wollende Farbaufträge wurden abgewaschen, um Tafeln und Säulen freizulegen. Danach hatten Fachleute noch ein halbes Jahr zu tun, bis der Rokokosaal im alten Glanz erstrahlte.
„Der Goldton ist zu gelb, das muss noch einmal gemalt werden“, weist Inez van Tienhoven auf eine Stuckmuschel. Unendliche Geduld, eine kaum zu stillende Leidenschaft für historische Gebäude und Interieurs und hohe Arbeitsdisziplin beseelen den Idealisten aus Irland und die Idealistin aus Kranenburg im hohen Norden, die in ihrer Heimat schon einen Niedersachsenhof restauriert hatten. Ihre vier Kinder im Alter zwischen zehn und 22 Jahren haben so gut es ging mitgeholfen. Ohne eine gehörige Portion Fantasie hätte das Paar die Restaurierung wohl nie in Angriff genommen. „Als wir das Haus zum ersten Mal besichtigten, regnete es, und es war dunkel“, erinnert sich Martin Atock, und seine Gattin weiß noch genau: „Das Gestrüpp wucherte bis an die Hausmauern heran, vom Park nahmen wir nichts wahr, und alle Räume waren vom Fußboden bis unter die Decke mit den Hinterlassenschaften der Menschen gefüllt, die das „Schloss“ in den wechselhaften Zeitläuften der letzen 120 Jahre bewohnt hatten.“
Mit dem Tod Friedrich Johann von der Leyen, 1874, neigte sich die Glanzzeit der Leyenburg ihrem Ende zu. Bis zum Beginn des ersten Weltkriegs war das herrschaftliche Gebäude zeitweilig verpachtet, etwa an den Grafen Anton von Spee. Anfang der 30er Jahre residierte ein Restaurantinhaber darin und lud zum „Tanz im Marmorsaal“. Auch wegen des Parks mit seinen seltenen Bäumen erfreute sich das Schloss damals als Ausflugsziel großer Beliebtheit. Nach beiden Weltkriegen war es Lazarett und Quartier von Besatzungstruppen gewesen und beherbergte die Soldaten einer Flakstellung. Schließlich, in der Wohnraumnot nach 1945, waren hier Flüchtlinge untergebracht: zehn Familien in drei Geschossen. Den letzen Schlag erlitt das Haus 1963, als die vierte Etage abbrannte, und das Löschwasser große Schäden verursachte.
Im Park, der als englischer Landschaftsgarten angelegt ist, hat Martin Atock die ursprünglichen Sichtachsen wieder hergestellt. Tausende Stunden hat er seit fünf Jahren damit zugebracht, Buschwerk und Bäume abzuholzen, die Rasenflächen neu anzulegen und den See mit seinen beiden Inselchen wieder zugänglich zu machen. „Weil viele der alten Bäume zu eng stehen, bekommen sie zu wenig Licht und verkrüppeln“, berichtet der Gartenliebhaber. Wenn nun einige dieser Bäume fallen, entstehen Lücken im Gesamtbild, die erst im Laufe der Jahre geheilt werden. „Das braucht Zeit, wir müssen es wachsen lassen“, gibt Martin Atock zu bedenken. „Die Bäume, die wir heute pflanzen, sind für die übernächste Generation.“ Er macht keine Alleingänge mehr sondern hat sich des Sachverstandes von Josef Grütters versichert. Mit dem Sonsbecker Landschaftsgärtner entwickelte man ein Konzept, das den ursprünglichen Charakter des Parks wieder belebt und dabei eigene Vorstellungen nicht zu kurz kommen lässt. Um die Riesenkosten der Parksanierung stemmen zu können, wurden die erforderlichen Maßnahmen in Etappen eingeteilt, jedes Jahr sind mehrere Wochen dafür eingeplant. 2012 soll das Werk vollendet sein. Vor- und Nacharbeiten im Grünen haben die Atocks selbst in die Hand genommen. An den Pflege-Tagen des Parks, der sich über rund 15 000 Quadratmeter erstreckt, sitzen sie schon früh morgens auf den Mähmaschinen oder buckeln beim Unkrautjäten über den Beeten; sie fängt links im Park an, er rechts. Gegen 11 Uhr treffen sie sich bei einer Tasse Kaffee, um 14 Uhr haben sie ihre Arbeit getan. Aber auch an den anderen Tage folgt das Tagwerk der Atocks einem bestimmten Rhythmus. Ein Fixpunkt: der gemeinsame Drink um 17 Uhr unter der Morgenröte.

Wer wie Gott in Frankreich nächtigen und frühstücken will, hat dazu Gelegenheit im Gästehaus der Leyenburg. Alle Informationen unter www.leyenburg.de

Zur Schlossarchitektur

Das Schloss wird als dreigeschossiger Putzbau über einem hohen Kellergeschoss mit zweiachsigen Giebelseiten und einer breit gelagerten siebenachsigen Traufseite mit hohem Walmdach errichtet. Die Traufseiten sind symmetrisch gegliedert und weisen einen klassizistischen Quaderputz mit durchlaufenden Stockwerkgesimsen, hohen Stichbogenfenstern sowie einem dreiachsigen Mittelrisalit mit Dreiecksgiebel im Walmdach auf. Der Haupteingang ist an der Ostseite über eine zweiläufige Treppenanlage zu erreichen. An der Südseite wurde eine Terrasse angebaut, westlich führt eine Treppenanlage zum Park.

Rheinischer Denkmalpreis

Der Rheinische Denkmalpreis wurde 1996 von Christiane Underberg ins Leben gerufen und 1997 erstmals vergeben. Als Mitglied im Kuratorium des Westfälischen Denkmalpreises regte sie diese öffentliche Würdigung privaten Engagements auch für das Bauerbe des Rheinlands an und gehört mit Landeskonservator Professor Dr. Udo Mainzer der hochkarätig besetzten Jury an. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert. Als Sponsor wurde der Rheinisch-Westfälische Genossenschaftsverband für die Volks- und Raiffeisenbanken gewonnen.

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