Die Geschichten zur Geschichte fehlen

Zur Ausstellung „100 Jahre Ruhrgebiet“ im Ruhrmuseum

Ruhrgebiet 2020. Wo stehen wir? Der erhebende Gedanke, Teil des „werdenden Abendlandes“ ­– so Titel einer vielbesuchten Ausstellung in der Villa Hügel im Jahr1956 ­– und damit mehr als der Kohle- und Schwermetallproduzent Westdeutschlands zu sein, hat sich längst verflüchtigt, und händeringend wird nach selbstbewussten neuen Ideen gesucht, die vielfältigen Aspekte dieser Region unter einen Hut zu bringen.

Wenig trägt die aktuelle Ausstellung „100 Jahre Ruhrgebiet“ im Ruhrmuseum auf der Weltkulturerbe- Zeche Zollverein zu diesem Bewußtwerdungsprozess bei, denn ihr einziger kreativer Akt scheint darin zu bestehen, die hochtrabende Bezeichnung „Metropole Ruhr“ des Kulturhauptstadtjahres 2010 in den aktuellen Slogan „andere Metropole“ umgemünzt zu haben.

Diesem größten Ballungsraum Deutschlands mit 5,1 Millionen Menschen auf 4438,69 Quadratmetern, mag der Glamour von Weltstädten wie Berlin oder New York fehlen, aber die vielgesichtige Eigenständigkeit der hier lebenden Menschen läßt hoffen, dass der Pott dem zunehmenden Nivellierungsdruck der Globalisierung noch eine Weile widerstehen kann.

Wie gern hätte die Besucherin in der Ausstellung objektive Belege fürs Anderssein dieser Region gefunden, die sie während ihrer über dreißig Pott-Jahre lieben gelernt hatte. Hundertjährige Geschichte in einem an historischen Ereignissen nicht eben armen Jahrhundert lässt sich sicher nur exemplarisch erzählen, muss aber nicht zwangsläufig als Verbandsgeschichte in einer katalogisch anmutenden Auflistung sich darstellen. Als Gründungsmythos taugt der Zusammenschluss von Städten und Kreisen zum Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk 1920, aber nun drückt die Verwaltungsgröße „Regionalverband Ruhr“ der gesamten Schau ihren Stempel auf und presst die bunte Ruhrgebiets-Gesellschaft in eine knochentrockene Klassifizierung.

An der Kohlenwäsche weist ein Transparent auf die aktuelle Ausstelluing hin. Die Gestaltung erinnert an die seinerueit bahnbrechende Bauhaus-Ästhetik. Die Didaktik der Ausstellung ist jedoch nicht auf der Höhe der Zeit.

Gestaucht werden einschneidende historische Ereignisse wie die spannungsreiche Ruhrbesetzung; die wechselvolle Herzensangelegenheit des Ruhrgebietsfußballs zeigt sich zusammengedrängt in einer Vitrine. Infrastruktur, Politik, Verkehr und Industrie, Sport, Kultur und Wissenschaft – beflissen wird Thema um Thema abgehakt, die beeindruckende Fülle an Informationen erstickt jedoch die Anziehungskraft. Von allem etwas ist nicht alles.

Wenige historische Dokumentarfilmausschnitte begleiten Objekte, Artefakte und schriftliches Quellenmaterial, und das führt vor Augen, was dieser Schau fehlt: eine Museumsdidaktik, die sich zeitgemäßer Technologie bedient. Um Geschichte anschaulich und sinnlich zu vermitteln, reichte eine Zeittafel, deren Positionen, angeklickt auf Tablets, Vidiwallls oder Screens, Bildmaterial aufriefe und Klanglandschaften erscheinen ließe. In dem so gewonnenen Raum wäre die vergnügliche exemplarische Präsentation von exotisch anmutenden Themenschwerpunkten wie etwa der Kanalschifffahrt möglich gewesen.

Der Mief des Konventionellen, ja Altmodischen, der über der gesamten Schau liegt, scheint von der dominant präsentierten Ahnengalerie der Verbandsfunktionäre auszugehen, was nahelegt, dass hier eigentlich ein bürokratisches Gebilde gefeiert wird, und alles andere nur Beiwerk ist. Gerade in der innovativen Industrie-Architektur von Fritz Schupp und Martin Kremmer vermisst man eine gleichwertig inspirierte Präsentation, eine Inszenierungsdynamik und Akzente, die Gefühle erzeugen, denn ohne Emotion keine Identifikation.

Womöglich unterliegen die Ausstellungsmacher dem Trugschluss, das Museumsgebäude selbst sei Schau genug?

Wohltuend lebendig begleiten Farbfotografien von Brigitte Kraemer die Schau. Ihr liebevoller, unbestechlicher Blick auf Alltagssituationen und eigen-artige Menschen und Orte im Pott verdeutlicht einmal mehr, was dieser Ausstellung fehlt.

www.ruhrmuseum.de

 

 

 

 

 

 

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