Jenny Holzer im K21 Düsseldorf – Seit zehn Jahren die erste Einzelausstellung in Deutschland
Soll der Geier Vergißmeinnicht fressen? fragt Hans Magnus Enzensberger in seinem berühmten Gedicht vor mehr als sechzig Jahren, in dem er uns Menschen in unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit aufspießt. Die Absurdität der menschlichen Existenz ist damals bei Philosophen und Dichtern hoch im Schwange, und die Konzeptkunst macht sich auf, mit Raffinesse und Tiefgang Widersprüche in der Gesellschaft zu beleuchten.
Wie Meteore schlagen damals die anonymen Ein-Zeiler auf Plakaten in dem von Werbung zersiedelten großstädtischen Raum von Lower Manhattan ein.
Jenny Holzer hatte losgelegt, Text als Bildkunst breitete sich dann von dort in aller Welt aus. Im deutschen Kunstbetrieb tauchte die prägende amerikanischen Konzept- und Installationskünstlerin in den frühen 1990er Jahren auf, und wir bewunderten die Lakonie und Schlagfertigkeit ihrer Aktionen. Nun begegnen wir ihr nach mehr als einem Jahrzehnt wieder in einer großen Einzelausstellung, in einer Zeit, da wieder Krieg herrscht in Europa, und Jenny Holzers Werke aus ihrem ursprünglichen Anlass heraus in die Gegenwart, ja in eine schmerzvolle Überzeitlichkeit gehoben werden. Indem sie US-amerikanische Kriegsaktivitäten der Vergangenheit kritisch beäugt, entlarvt sie ganz allgemein menschenfeindliche Machtpolitik.
Die Düsseldorfer Kunstsammlung K21 bereitet ihr einen großen Bahnhof, konzipiert hat die Künstlerin selbst die Auswahl und Präsentation der Werke auf zwei Etagen und im Stadtraum. Im Zentrum stehen Herzstücke verschiedener Schaffensphasen und für Düsseldorf entstandene Arbeiten.
Aus der Ferne wirken die zwanzig großformatigen Ölgemälde und Siebdrucke, die Holzer mit Blattmetallen belegt hat, wie Epitaphe. Von Nahem offenbaren sich die „Reaction Paintings“, an denen sie seit 2005 arbeitet, als geheime Dokumente die, von US-Regierungsbehörden mit geschwärzten Passagen schließlich freigegeben wurden. Was mögen sie überdecken, das diese Berichte über Militäroperationen im Irak, Folter in Militärgefängnissen und Verbrechen an der Zivilbevölkerung noch überträfe?
Die neue LED-Wandarbeit „UKRAINE“ zeigt Textstücke aus UN-Berichten, die Kriegsverbrechen und Verletzungen der Menschenrechte in der Ukraine zum Inhalt haben: Vergewaltigung, Folter, Mord durch russische Soldaten, gemischt mit persönlichen Schilderungen ukrainischer Kunstschaffender.
Auch die Serie „Handflächen und Finger“ (Palms and Fingers, 2007) zielt auf Kriegsverbrechen, die von den Tätern geleugnet werden. Die Künstlerin wählte als Motiv einen geschwärzten Handabdruck aus einem Bericht von US-Militärs, in dem irakische Häftlinge US-Soldaten vorwerfen, sie bei der Verlegung nach Abu Ghraib misshandelt zu haben. Stark vergrößert und verfremdet wollen sich auch diese Bilder gegen das Vergessen stemmen.
Ein Haufen Menschenknochen (aussortiertes Unterrichtsmaterial) zieht inmitten des zweiten Bel-Etage-Saals die Aufmerksamkeit auf sich: Silberringe, auf denen Holzer Auszüge aus ihrer Textserie „Lustmord“ (1993–95) gravieren ließ, umfassen das Gebein. Die Texte entstanden1993 bis 1995, während des Jugoslawien-Kriegs und erinnern an sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Geschildert wird eine Vergewaltigung aus den Perspektiven des Täters, des Opfers und eines Beobachtenden.
26 ausgewählte Steinbänke aus verschiedenen Schaffensphasen seit 1986 stellt Holzer ihren Gemälden gegenüber. Mögen sie, mit ihren gemeißelten Inschriften gleichermaßen Gebrauchsobjekte und Symbole der Erinnerung, die Vergänglichkeit ihrer Plakate und LED-Laufbänder ergänzen, deren gemeißelte Inschriften antike Informationstechniken veranschaulichen. Der Survival-Kreis aus siebzehn roten Granitbänken, auf die man sich nicht setzen darf, gilt als ein Schlüsselwerk der Ausstellung. In die Sitzfläche einer schwarzen Marmorbank gemeißelt, ist zu lesen: „EINEN AUGENBLICK LANG SCHAUEN WIR UNS IN DIE AUGEN. WENN DER AUGENBLICK VORBEI IST WIRST DU AUF MICH SCHIESSEN“ (aus „Building the Barricade“ von Anna Świrszczyńska).
Wände füllend hat Lady Pink in der unteren Etage die Holzer-Textblätter als Farb-Mosaik in Szene gesetzt. „ABUSE OF POWER COMES AS NO SURPRISE“ ist auf dem T-Shirt zu lesen, in dem sich die Graffiti-Künstlerin fotografieren ließ, und das zum Ausstellungplakat auserkoren wurde. Es ist vermutlich der bekannteste Satz aus Holzers „Truisms“ (Binsenweisheiten), die wie „Sprichwörter“ wirken und nun im Untergeschoss mit ihren „Inflammatory Essays“ zu ihrer bisher größten Plakat-Installation zusammenwachsen. Sie geben den Besuchern Einblick in ihr frühes künstlerischen Schaffen von 1977 bis 1982. Wie mit ihren späteren „aufrührerischen Essays“, die politischen und künstlerischen Manifesten entlehnt sind, will Holzer irritieren und Denkanstösse geben, indem sie widersprüchliche Aussagen konfrontiert.
Auch auf drei LED-Laufbändern erscheinen Holzers Texte aus den Serien Truisms und Survival (1983–85). So verfremdet die Künstlerin die üblichen Werbebotschaften im urbanen Raum, indem sie die bekannten Medien nutzt für persönliche Äußerungen über seelische Verletzung und andere Gefühle. Lichtbilder aus dem Bürgerkrieg in Nicaragua und El Salvador der Dokumentarfotografin Susan Meiselas, die menschliches Leid in vielen Facetten thematisieren, zogen Holzer & Lady Pink für ein Wandbild heran, das einmal mehr die Not der Menschen des Südens zeigt, die ein besseres Leben ersehnen.
Für den Außenraum hat Holzer neue Animationen mit Texten aus ihren Serien „Truisms“ und „Survival“ sowie Texten von anderen Schreibenden konzipiert. Die neuen künstlerischen Interventionen sind auf Düsseldorfer Werbetafeln zu sehen. Ob sie sich behaupten können?