Kunsttourismus und Stadtmarketing: Die Bosch-Retrospektive in ’s-Hertogenbosch als Beispiel
Die Maßlosigkeit galt vielen noch als Todsünde, aber der Mammon hatte schon einen Fuß in der Tür, als Hieronymus Bosch seine Visionen vom menschlichen Leben nach der Vertreibung aus dem Paradies auf Leinwand bannte. Wie die Geldwirtschaft die Moral aufsaugte am Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit, kommt einem angesichts einiger Erlebnisse im Umfeldes der aktuellen Hieronymus-Bosch-Werkschau in dessen Heimatstadt ’s-Hertogenbosch in den Sinn. Oder in heutigen Begriffen: Wie das Stadtmarketin über die Kunst regiert.
Die grüne Giraffe in den Wiesen am Wall, wo einst die Stadtmauer und der Wassergraben von ’s-Hertogenbosch sich hingezogen haben mögen, war, im Nachhinein betrachtet, der erste Riss in der Realität dieses Märzmorgens anno Domini 2016. Wir befanden uns hochgemut auf Zeitreise fünfhundert Jahre zurück zum verehrten Maler Hieronymus Bosch, der hier gelebt und gearbeitet hatte, in dieser Stadt, für die man zuvor nie von der Autobahn nach Amsterdam abgebogen wäre. Den Marktplatz gibt es noch. Dort stehen Boschs Elternhaus und das Gebäude, in dem er malte. Hier war er wie einer der Bürger vorstellbar und war doch keiner von ihnen: Die Furcht des Herrn prägte sein Dasein, und mit schier unerschöpflicher Phantasie versuchte er, sich diese Furcht von der Seele zu malen. Gleichsam bändigte er die Untiere seiner Nachtmare, indem er sie auf die Leinwand bannte. Mit atemberaubender Hingabe zum Detail schuf er Visionen der Hölle und des Paradieses. Dabei verlor er nie das Ende der Zeit aus dem Blick, das Jüngste Gericht, den Himmel und die ewige Verdammnis.
Dem Geheimnis dieses großen Künstlers hofften wir nun so nah wie möglich zu kommen. Unsere Vorfreude wuchs, je näher wir dem Noordbrabnt Museum kamen. Gedanklich schon so sehr in den uns vereinzelt bekannten Original-Gemälden mit ihren Glückseligkeiten und Schrecknissen, hatten wir für die Realität in den engen Gassen auf dem Weg vom Parkplatz zur Ausstellung kein Auge. Dass wir keine anderen Bosch-Jünger, Besuchergruppen und schlangen ausmachten, erstaunte uns. Des Rätsels Lösung erfuhren wir dann im Kartenhäuschen, wo die Schalterkraft auf unser Eintrittsbegehren nur den Kopf schüttelte. Die Ausstellung war ausgebucht. Gegen 18 Uhr könnten wir möglicherweise hineinkommen zu den ersehnten Bildern. Das Museum schloss um 19 Uhr, also blieben uns für 24 Gemälde und 19 Zeichnungen genau sechzig Minuten. 220 Kilometer angereist, umsonst? Da hörte ich die grüne Giraffe lachen. Befanden wir uns nicht in einer global ökonomisierten Welt, die schon die zweite Vertreibung aus dem Paradies hinter sich hatte? Der Kunstinteressierte wird vorrangig als Konsument gesehen, von dem der städtische Handel soviel wie möglich absahnen will. Mit dem Lockmittel Kunst lassen sich vorzüglich vielerlei Geschäfte machen. Dieses Stadtmarketing-Programm drängte sich auf, während wir zum gotischen Kathedrale schlenderten. Fabelwesen und Höllengeburten des Bosch-Kosmos’, vergrößert und aus Kunststoff nachgebildet, lugtem von Fenstersimsen herab und lauerten hinter Mauervorsprüngen. Aber sie erzählen keine Geschichten sondern wirken wie Ausrufungszeichen über den Abgründen grenzenlosen Kommerzes. Ein zweiter Disney-Bosch-Aufguss als animierendes Stadtvergnügen. An den Glasscheiben der Geschäftsauslagen kleben Abziehbilder mit Bosch-Abklatsch, und auch das Café, wo wir uns bei einer Tasse Kaffee aufwärmten, ist aufdringlich boschlike dekoriert. Flyer mit Hinweisen auf das Museum und die einmalige Ausstellung fehlen. Die Kunst und ihre wahren Schrecken passen nicht in die vergnügungssüchtige Event-Kultur unserer Tage. Dass es um den schnöden Mammon geht, in allem, unterstreicht einmal mehr der deftige Eintrittspreis für das in einer alten Kirche residierende Hieronymus-Bosch-Art Center, wo einige der Plastik-Unwesen ihren Platz gefunden haben, und grob gerasterte Bosch-Reproduktionen in pseudobarocken Rahmen und Flügelaltäre zum Anfassen präsentiert werden. Immerhin gibt es dort eine kostbare historische Uhr mit Glockenspiel. Und ein umsichtiger Mitarbeiter erzählt uns von der wirtschaftlichen Konkurrenz der Städte zu Boschs Lebzeiten. Städtische Macht zeigte sich durch den Besitz technischer Novitäten wie etwa dieses komplexen Apparates. Das Ansehen wuchs, die Bürger waren stolz auf ihre Errungenschaft. Heute ist es wohl genau umgekehrt: Die Stadt nennt ein einziges Bosch-Werk sein eigen. Das Echte wird ersetzt, der „Kunsthonig“aber machen keinen satt.
Wir verzichteten übrigens auf das Sechzig-Minuten-Date mit den Bosch-Originalen. Wenig später erfuhren wir von Freunden, die ganz einfach in die Ausstellung gelangt waren: Bei Buchung einer Paketes mit Übernachtung und Frühstück gab’s das Ticket dazu..
(BILD: HIERONYMUS BOSCH, DROLERIE MIT BIENENKORB)
IRMGARD BERNRIEDER