Wolfgang Tillmans Fotoschau im Deutschen Werkzeugmuseum Remscheid

Ein Pendler zwischen Dunkelkammer und Milchstraße, von Berlin und London, der, die Kamera immer im Anschlag, seinem Lebensgefühl folgt: Wolfgang Tillmans, Jahrgang 1968, ist Fotograf, Aktivist und Musiker seit über 35 Jahren, in denen er sich und seine Kunst entwickelte bis hin zur internationalen Anerkennung und Würdigung seines Werks.

Dass Remscheid nach New York, Dresden und Paris derzeit Ausstellungsort ist, liegt wohl nicht allein daran, dass der junge Tillmans von hier aufbrach in die weite Welt, sondern auch am hier beheimateten einzigen deutschen Werkzeugmuseum und dem benachbarten spätbarocken Hauses Cleff, das nach aufwendiger Sanierung gerade wiedereröffnet wurde. Für dessen Raumgestaltung erhielt der Künstler eine Carte blanche, und verschränkte seine aktuelle Fotoschau frappant mit den innenarchitektonischen Gegebenheiten.

Ein Architekturmodell des Baudenkmals inmitten der Fotoausstellung erhebt das altehrwürdige Gebäude zu einem Sinnbild der Stadtgeschichte und seiner eigenen Biografie. Die ausgewählten Wandfarben in sanften Kreidetönen bieten seinen Lichtbildern einen optimalen Hintergrund. Beinahe choreographisch spielt Tillmans mit realen Details wie Türöffnungen und Fensterblicken, prächtig geschnitzten Treppenpfosten und dunklen Türrahmen, glänzenden Scharnieren und Türklinken aus Messing, zwischen denen seine Bilder ihren Auftritt haben. Es gibt keine Türen.

Geschichte und Geschichtlichkeit sind die Taktgeber dieser Ausstellung: die eigenen Erfahrungen, gespiegelt im universellen Geschehen. Schärfe und Unschärfe, Distanz und Intimität, Oberfläche und Tiefe im ständigen Wechsel. Tillmans stellt seine Fotografien so zusammen, dass sie im Ensemble mehr sind, nämlich auch die unsichtbare Realität einzufangen. Der Betrachter schöpft aus der Zusammenschau einzelner Motive einer Werkgruppe eigene Bedeutung. Die gesamte Präsentation auf den rund 600 Quadratmetern des einstigen Herrenhauses ist als Großkomposition zu verstehen.

Welcher Weg von den frühen Rave-Bildern seiner Zwanziger bis hin zur Freischwimmer-Serie!

Der Bub aus Remscheid entfloh nach dem Kunststudium der Enge des Städtchens und dessen Tristesse dunkelgrauer Schieferfassaden und strebte nach London, wo er sich in der Techno-Szene herumtrieb, mit seinen Freunden auf Love-Parades und Gay-Pride-Festen tanzte und diese Erlebnisse ablichtete. Nach dem Fall der Berliner Mauer lag Hoffnung nach gesellschaftlichen Veränderungen in der Luft.

Ganz im Geist der Postmoderne, die eine große Freiheit im Umgang mit Stilen und Epochen propagiert, ignoriert Tillmans klassische Betrachtungsweisen von Zeit und Raum und führt in seinen „Bilderwolken“ verschiedene Genres zusammen. „Straßenkultur, Popmusik, elektronische Musik haben mich werden lassen“, so der Künstler, der die Wechselwirkung der Stillleben und Porträts und Landschaften und astronomischen Motive miteinander „Fremdbestäubung“ nennt. Auch die sinnstiftende Nachbarschaft älterer und neuer Fotografien.

Wolfgang Tillmans versucht, die Fotografie als Medium immer besser zu verstehen, und experimentiert intensiv mit ihr. Er erforscht, wie Licht sich auf Fotopapier gestaltet und welche Wirkung chemische und mechanische Techniken auf Lichtbilder ausüben. Die entstehenden, oft wandhohen abstrakten Bilder haben eine außergewöhnliche Ausstrahlung.

„Obwohl ich weiß, dass die Kamera lügt, halte ich doch fest an der Idee von der fotografischen Wahrheit“, beteuert Tillmans und lichtet sie ab, seine Freunde, Fremde und Prominente, für diesen Augenblick die Flüchtigkeit des Lebens negierend. Meist schauen die Porträtierten den Betrachter direkt an und der kommt diesen Frauen und Männern ungewöhnlich nahe.

Tillmans Verbeugung vor August Sanders‘ Menschenbildern ist weit mehr als eine fotogeschichtliche Referenz, öffnet sie doch ein Herrenhaus den Nachfahren jener Arbeiter, die mit ihrer Hände Arbeit die Fabrikbesitzer im Bergischen Land einst reich machte: In Reihe und Glied blicken sie selbstbewusst auf den Betrachter. Ihnen gegenüber prangt die sorgsam ausgeleuchtete Großaufnahme eines im Gebrauch gealterten / geadelten Werkzeugs.

Wie ein roter Faden zieht sich die Frage nach Möglichkeiten des Unangepassten und der tatsächlichen Freiheit des Einzelnen in unserer Welt durch Tillmans Werk.

In seinen Stillleben entlarvt er die vermeintliche Harmonie als bloß formale und offenbart die unabänderliche Vergänglichkeit des Lebens. Seinen Landschaften ist in der Regel nicht zu trauen, denn die oftmals romantisch anmutenden Naturmotive sind mehr als sie scheinen und wollen hinterfragt werden.

Wolfgang Tillmans macht Bilder, um die Welt zu erkennen und scheint in seiner künstlerischen Arbeit dem spanischen Philosophen Miguel de Unamuno verwandt, der mutmaßt: „Ist nicht vielleicht alles zusammen das Produkt aller einzelnen Dinge und jedes Einzelding wiederum ein Produkt des Ganzen?“

(bis 1. Januar 2026)

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