Hinter der Sprache

Er öffnet das Tor.

Ganz unter dem Eindruck von John Bergers Ideenfülle und Belesenheit, habe ich mich heute an die Filmarbeit begeben. Während ich wieder die Bilder von Esther sah, ihr Profil vor dem Zugfenster, das die vorbeifliegende Landschaft für Sekundenbruchteile fasst, und das rhythmische Rattern der Räder im Ohr, fiel mir sein Hinweis auf eine George Steiner-Vorlesung ein: Nomaden erwähnte er, die sich die nicht zu fassende Zukunft als etwas hinter der Sprache Liegendes dachten. Deutlich erkennbar und herzuleiten hingegen liegt die Vergangenheit vor ihnen. Wie wahr! Das Vergangene haben andere oder ich er-lebt, Zeugnisse lassen sich befragen. Die Zukunft hinter der Sprache? In einem anderen Augenblick als dem jeweils gegenwärtigen zählt kein Zeiger die Sekunden, kein Wort formt sich im Mund, weil es nichts zu sagen gibt von etwas, das noch nicht existiert. Je länger ich den Film laufen lasse, umso deutlicher wird mir, dass die Dialoge, die ich Esther und Rupert in den Mund legte, gestrichen werden. Als peinlich empfinde ich heute diese prätentiösen Sätze über den Zustand unserer Welt, wie ich ihn vor 30 Jahren empfand. Stattdessen werde ich einen neuen Text schreiben, der aus dem off die Filmbilder begleiteten soll, eingebettet in eine Soundscape.. Und mir scheint es passend, unter die Titel schon die Bahhofsatmo zu legen.

Zwei Figuren sind unterwegs von der Stadt aufs Land. Er in seinem Auto, sie im Zug. Wie sie auf das schmiedeeiserne Tor zugeht, das ein schweres Vorhängeschloss verriegelt, seitlich über eine niedere Steinmauer klettert, und durch das hoch stehende Gras auf das Schloss Wolfskuhlen zugeht, werde ich zwischen die Fahrtbilder schneiden, wie die Erinnerung an das Bevorstehende. Ebenso werde ich bei ihm vorgehen. Wie er aufs Tor zu geht, das Schloss aufreißt und auf das Gebäude zuschlendert.

Was haben Sie und Er an diesem verwunschenen Ort zu suchen? Ich weiß es auch nicht. Die beiden Figuren und ihr zufälliges Zusammentreffen bilden den ironisierten Novellenstoff, um den Ort genauer beäugen zu können, das verfallende Schloss zwischen Vergangenheit und Zukunft.

 

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