Das New Jazz Festival Moers wurde vor 40 Jahren von Burkhard Hennen ins Leben gerufen. 1980 als Kulturredakteurin der RP-Lokalausgabe „Der Grafschafter“ kam ich zum ersten Mal damit in Berührung.
Freie Geister und ihr Sound
Klänge beamen uns zurück, kristallisieren Räume und Menschen um sich herum, und die Zeit hört weg. Lebhaft erinnere ich mich des Anschlags von Burkhard Hennen, der mir in Vorbereitung auf „sein“ Festival Hörproben geliehen hatte, um mich in den Free Jazz einzuhören. James „Blood“ Ulmer, Davis Murray, Shannon Jackson hießen die Sound-Revoluzzer aus der Neuen Welt, die dem traditionellen Jazz den Garaus machten, weil sie eine Erneuerung von den Wurzeln her für wichtig hielten. Für eine wie mich, die von Rock und Popmusik geprägt war und sich für Keith Jarrett, Miles Davies und Herbie Hancock begeisterte, Jan Gabareck und Terrye Ripdahl verehrte, kam das einer Zumutung gleich. Andererseits hatte der Impuls des Aufbegehrens gegen eingefahrene Strukturen, der als untergründiges Rumoren der außerparlamentarischen Opposition den Festivalgründer und seine Clique beseelte, meine Sympathie. Fraglos hielt ich als Kulturredakteurin der Avantgarde die Stange und bemühte mich in der Berichterstattung über das Festival, gegen Desinteresse und Ignoranz bei einem Gros der Moerser Bevölkerung anzuschreiben.
Das Programmblatt von 1980, DIN A 3, einmal gefaltet, hatte noch ein schwarz-weißes Titelbild mit dem besonderen Charme der Fotokopie und enthielt kaum mehr als die Namen der Interpreten – für Spezialisten eben. Den charakteristischen Schriftzug gab es schon, meines Wissens stammte er von dem renommierten Grafiker Jürgen (Moses) Pankarz, der auch viele Festivalplakate gestaltete. Beim zehnten Festival im Jahr darauf, durfte es schon ein wenig Farbe sein auf Plakat und Programm. Im sich wandelnden Erscheinungsbild des Festivals spiegeln sich der Mangel der Anfangsjahre mit seinen zupackenden Du-it-yourself-Lösungen und die sich wandelnden Trends und Moden.
Im Überblick – den das Festivalarchiv auf seiner Homepage vorbildlich ermöglicht – fallen die Plakate 1996 bis 2004 durch eine starke ästhetische Handschrift besonders ins Auge. Die Gestaltung verantwortete Jürgen Pankarz, die eindrucksvollen Musikerporträts hat Frank Schemmann fotografiert. Und hat 68 Fotografien versammelt in einem beeindruckenden Band (LKO, Labonté Köhler Osnowski Verlagsgesellschaft, Köln) der herauskam, bevor Reiner Michalke den Stab der künstlerischen Leitung von Burkhard Hennen übernahm.
Beim Blättern in diesem besonderen Bilderbuch zeigt sich, wie stark auch Bilder ganze Szenarien der Vergangenheit heraufbeschwören. Der damals 29-jährige Werbefotograf Frank Schemmamm war ein „Langhaariger“, der womöglich den untergegangenen Flower-Power-Idealen von Berkley seine Referenz erweisen wollte, in jedem Fall aber durch
künstlerischen Eigensinn und Stehvermögen sich auszeichnete. Künstlerische Herausforderung und Ausgleich zum kommerziellen Handwerk fand er während zehn Festivals in seiner Aktion „Backstage“, aus der über 5000 Fotografien hervorgingen. Er wollte den Musikern näher kommen als mit dem stärksten Zoom-Objektiv vom Fotografengraben vor der Festivalbühne aus und bat die Berserker, die Luziden, die Glamourösen direkt nach ihrem Auftritt in sein temporäres Atelier, das er in einem Zelt neben dem Festivalzelt eingerichtet hatte. Die Fotoporträts atmen die Intimität dieser Begegnungen, in denen es beiderseitig auf Intuition und Improvisation ankam.
Der Betrachter sieht das Sun Ra Arkestra um Marshall Allen im Jahr 1996 und erinnert sich jener „astrologischen“ Anekdoten vom früheren Auftritt des mythenumwobenen Bandgründers, die Hennen zu erzählen wusste. Oder der Blick fällt auf das Fotoporträt des älteren Mathias Ruegg, und davor schiebt sich das Bild des jungen Musikers mit schulterlangem wehenden Haar wie er sein Vienna Art Orchestra schwungvoll dirigiert. Wie vielsagend die Geste von Herbie Hancock, die Schattierungen des gelangweiten Stars, des aufmüpfigen Künstlers und des müden Menschen ineinander blenden. Ganz bei sich Mari Boyne mit geschlossenen Augen, quasi nach innen blickend wie viele ihrer Lieder. Und Hayden Chisholm höchst konzentriert; jede Sekunde könnte er sein Saxophon hochreißen und ihm nie gehörte, abgedrehte Klänge entlocken.
Ein ganzer Klangkosmos in unbeschreiblicher Vielfalt, von ohrenbetäubend laut bis atemberaubend leise, überraschend, einnehmend, abstoßend, wäre aus meiner Zeit mit dem Festival zu beschreiben. Improvisationen allen Facetten von Weltmusik, ethnischer, experimenteller, elektronischer Musik. Ungezählte Begegnungen mit Besuchern aus aller Welt. Gänge übers Festivalgelände bei brütender Hitze auf staubigen Wegen und bei Landregen im Morast. Und einmal hätte beim sonntäglichen Empfang ein Gewittersturm fast das Pressezelt mitgenommen.
Ach ja, neben den vielen Glücksmomenten beim Moers Festival seien die unangenehmen Begleiterscheinungen nicht verschwiegen: der pünktlich zwei, drei Monate vor dem Festival einsetzende öffentliche Schlagabtausch zwischen dem künstlerischen Leiter und dem Kulturdezernenten ebenso wie die Versöhnungen in letzter Sekunde, der Festivalkater danach, wenn die Ratsfraktionen sich in Sachen Müllentsorgung in die Haare kriegten, Diskussionen wegen zu vieler Joints, deren Dampf nicht zu übersehen über der Zeltstadt lag und präventive sozialpädagogische Maßnahmen. Die Schlussbilanz wies stets rote Zahlen für die Stadt auf. Dabei hat Moers doch 40 Jahre lang auf der ganzen Linie nur gewonnen: an kulturellem Ansehen und guten Erinnerungen in so vielen Köpfen!
Alles zum 40. Festival auf http://www.moers-festival.de/