Fersenfeuer

Premiere am 22. April 1978 am Schauspielhaus Bochum

Es geht nicht weiter, wir sind angekommen, in Pina Bauschs Choreographie „Rough cut“. Starren auf eine zerklüftete, unüberwindlich hohe Klippe vor uns und zugleich aufs Meer: Finis Terrae, ein paar Quadratmeter Bühnenfläche, die dem Leben, dem Wellen-Spiel von Frauen und Männern Ausdruck geben. Dieser Ort ist so ausgedacht und zugespitzt und wie alle ihre Arbeiten, die auch in der Übertreibung lebensnah sind.

Die Zeit hat meine Notiz längst überrollt. Letzten Sonntag jährte sich Pina Bauschs Todestag zum zehnten Mal, und die Choreographin ist entgegen der Schnelllebigkeit unserer Tage immer noch in vieler Munde. Weltumspannend scheint das Netzwerk der Menschen, die von dieser Künstlerin inspiriert sind. Ihre Nachfolge und der Fortbestand der Compagnie warf Fragen auf, der Rettungsmaßnahmen innerhalb dieses Jahrzehnts gab es manche, die wenig fruchteten. Sollte ihre eigenartige Idee der Kreuzung von Tanz und Theater mit ihrem Leben untergehen? Konnte nur jener Frauentyp der endsiebziger Gründungsjahre Bauschs Choreographien angemessen verkörpern? Diese großgewachsenen langhaarigen Göttinnen mit den eckigen Schultern, diese Tänzher, komische Softies und Leidenschaftliche vom Typ „roman lover“?

Vo einigen Wochen hat sich diese Ungewissheit aufgelöst, als ich Pina Bauschs Macbeth-Paraphrase „Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen“ wiedersah. Einundvierzig Jahre nach der Premiere im Schauspielhaus Bochum, wohin Peter Zadek Pina eingeladen hatte, kam die neueinstudierte Fassung wie eine Erhellung: Von der Bühne wehte der schönste Bausch-Wind! Alle Fragen, die sie damals stellte, stehen im Raum noch, alle Sensibilität der assoziativen Annäherung ist gültig!

Von Shakespeares „Macbeth“ das finden, was immer da ist in unserem Alltag. Nicht viele Zitate erwarten. Es gibt Texteinschübe, Worte voller dunkler Schönheit, die sich durch unsere Sprache ersetzen ließen, aber dann sähen wir nicht in solche Tiefen, Räume, Zeit. Zur messbaren Zeit die innere Zeit. Sehen, zusehen, zudenken, kämpfen, auch durch die Müdigkeit. Zuusehen wird zum Auf-der-Bühne-Sein. Zusehen verlangt Mut. Zusehen und sich zumuten. Lange Zeit haben bedeutet Zeit haben für sich selber. Sich auf Pina Bausch einlassen bedeutet, sich auf sich selbst einlassen. Hineinsehen in unsere Wirklichkeit, unser vielgeschichtetes Dasein, unsere enteignete Existenz in Zärtlichkeit, Kraft und Ohnmacht unserer Träume, einsehen ins zärtliche Zerstören, Morden, und wieviel Angst jeder davor hat. Angst, Hemmung und Grauen, weil es noch etwas anderes gibt, leise, lebendig, einfach, froh . . .

Geleitet von Ann Endicott nahmen die jungen Tänzer die Witterung auf und fanden offensichtlich ihre Themen im vermeintlich Alten. Diese Stück entpuppt sich als Laboratorium, denn es zeigt den Protagonisten und Choreographen wie unter dem Vergrößerungsglas, woraus Pina Bausch in ihrer Arbeit schöpfte und was ihr am Herzen lag. Nun gilt es, mit diesem Instrumentarium das großartige Erbe behutsam zu eröffnen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert