Das Museum Kunstpalast Düsseldorf ergründet in einer grandiosen Schau, was „Hinter dem Vorhang“ ist
„Dort,“ fuhr Porbus fort und berührte die Leinwand, „endet unsere Kunst auf Erden.“ „Und von dort verliert sie sich in den Himmeln“, sagte Poussin.“ Die Himmel Honoré de Balzacs haben sich längst in Luft aufgelöst, in nichts als weiße Leinwand, der Dieter Krieg vehement auftrumpfend seine Malerei entgegensetzt. Sein grüner Vorhang behauptet die wiedererlangte Möglichkeit den Gegenstand darzustellen und nimmt so Bezug auf die Gründungslegende mimetischer Malerei, jenen von Zeuxis und Parrhasios ausgetragenen Streit, wer die Welt-Dinge täuschender abbilden könne. Kriegs Stofffetzen, der an zwei Ringen von einer Stange baumelt, wird zur Allegorie der Malerei und zu einem Schlüsselbild der überreichen und vielschichtigen Ausstellung „Hinter dem Vorhang. Enthüllung und Verhüllung“ im Düsseldorfer Museum Kunstpalast. Von Beat Wismer, dem Generaldirektor des Hauses konzipiert, und von der Berliner Professorin für Kunst, Claudia Blümle kuratiert, entfalten über 200 Werke der Vormoderne und Moderne bis in die Gegenwartskunst aus bedeutenden Kunstmuseen und Privatsammlungen weltweit ein breites Spektrum ikonografischer Bezüge und allegorischer Bedeutungen im Rahmen der Malerei und Bildhauerei.
Der Vorhang bannt die unfassbare Welt im Bild des Welttheaters, harmonisiert und strukturiert in einem klaren Spiel-Plan mit zugewiesenen Rollen. In der Transzendenz erst breitet sich der höhere Sinn der Wirklichkeit aus. Matthys Naiveu malt einen Gelehrter und seine Frau in einem Interieur (1670): Ihr Auftritt ein Augenaufschlag, zwei Menschenleben, die verewigt sein wollen im Bild, das die Welt bedeutet.
Die spezifische Form des Bildvorhangs deutet Claudia Blümle so: „Im Bildersturm der Reformation wurden nicht nur Bilder und Skulpturen sondern auch Vorhänge in den Kirchen heruntergerissen, die im Kult den Altar verhüllt und enthüllt haben. Als Bildvorhänge gehen sie in die Kunstsammlungen über, in denen sie die Kunst schützen. Später sollten die kostbarsten Werke nicht mehr vor Gewalteinwirkungen sondern vor unliebsamen Blicken verhüllen werden.
Gebannt vom Geheimnis des halb Verborgenen schreitet der Besucher in imaginierte Bildräume und weiß bald nicht mehr, ob er vor oder hinter dem Vorhang steht. Gespiegelt sieht er sich, selbst eine Figur, die einladenden Spielen folgt und abwehrenden Gesten weicht.
Der Vorhang als Schranke zwischen einer Welt davor und einer dahinter setzt die Malerei in jeweils andere ikonografische Kontexte. Etwa in Pietro Antonio Rotaris Gemälde „Das Treffen von Alexander dem Großen und Roxane hinter einem Vorhang“ (1753-58): Unter einem halbtransparenten Store ragen ein Frauen- und ein Männerfuß hervor.
Die Augen gehen uns über von den Inszenierungen im Museumsraum und in den Bildräumen. In religiös motivierten Bildwerken wie „Maria mit dem Kind und hlg. Josef (um 1504) von Hans Fries öffnen zurückgezogene Vorhänge den Blick zum Himmelsparadies. Als bloße Dinge verdeutlichen Stoffbahnen die Kluft zwischen dem Betrachter und dem imaginierten heilsgeschichtlichen Szenario. „Vera Icon“ (um 1400), das Schweißtuch der Veronika, ruft die metaphysische Sphäre des Sakralen auf. Das Werk des Meisters von St. Laurenz gilt als ältestes Trompe l’Œil. Angesichts des golden durch die Bildreliquie hindurch schimmernden verborgenen Bildes fällt mir eine Bemerkung Paul Valérys zu Proust ein: . . er geht ins immer Kleinere – und was endlich dasteht, ist riesengroß. Wie die Dimension aufgehoben ist in der Kunst, keine Gültigkeit mehr hat.“
Als rein ornamentales Bildelement auch als Staffage zur räumlichen Tiefenstaffelung dient der Vorhang Gerrit Dou in seinem Gemälde „Alter Maler in seinem Atelier“ (1649)
Mit dem besonderen Reiz der geheimnisvollen, unserem Auge (halb) verborgenen Anwesenheit eines Objekts spielt eine Reihe von Arbeiten. Hier übernimmt der Vorhang die Rolle des Vermittlers und Transformators zweier Welten: der des Betrachters und der des Bildes.
Der echte „Vorhang Rot“ von Hans-Peter Feldmann erinnert an die lange Geschichte der Augentäuschung, und Christos „Portait of Ray“ (1969) ist eine besonders charmante Verhüllung weil Verneigung vor dem surrealistischen Künstler und dessen Objekt „L’enigme d’Isidore Ducasse“.
Schamhafte Verhüllung verweist auf die Vertreibung aus dem Paradies. Dass der verbergende Schleier auch birgt, sehen wir auf Tizians „Bildnis des Filippo Archinto (1558). Die verschleierte Frau, ein Politikum unserer Tage, problematisiert Shirin Neshat in ihrem Porträt „Faceless“ (1994). Bis ins Mark getroffen, erkennt der Betrachter den Hintersinn von Thomas Demands Lichtbild „Fotoecke“ (1999), die jene Situation nachstellt, in der politische Gefangene in DDR-Gefängnissen vor einem weißen Vorhang vermeintlich abgelichtet, tatsächlich aber mit Röntgenstrahlen bestrahlt und so schrittweise zu Tode gebracht wurden. Édouard Vuillards „Le rideau jaune“ (1893) führt uns vor Augen, wie ein sich öffnender Vorhang ein Bild verschließt. Cornelis Bisschop nimmt sein Selbstbildnis (1668) zum Anlass eines malerischer Kabinettstücks. „Profanen Schönheitsdienst“ nannte Walter Benjamin diese Hinwendung zur neuen materillen Kunst des Goldenen Zeitalters in Holland.
Vorhänge dekorieren himmlische Gefilde oder andere mythische Momente: So Giottos Engel, den Himmel enthüllend, ein Detail aus „Das Jüngste Gericht (1305).
Der Maler, der den Vorhang gestaltet, befindet sich selbst in einen Raum, der nicht Bühne, also auch nicht Welt ist. René Magritte betont in „Le noctambule“ (1927/28) die Zwittersituation des Künstlers zwischen dem Uneigentlichen und dem Eigentlichen.
Die Metapher und das Modell des Welttheaters verlieren durch die Zersplitterung und Fragmentierung des harmonischen Weltbilds ihren durchsichtigen Repräsentationscharakter, die Malerei versucht aber auch in der Moderne, die erfahrbare Wirklichkeit auf einen Sinnzusammenhang hin durchsichtig zu machen. Spielerisch wird auf die Bedeutung des Symbols Vorhang hingewiesen. Oskar Schlemmer etwa hinterfragt in seiner „Zwölfergruppe mit Interieur“ (1930) die Grenze von Innen und Außen. Zeitgenössische Darstellungen neigen zu ironisch-verrätselten Brechungen wie „Onkel H.“ (1965) von Konrad Lueg und bringen Parodien des harmonischen Modells hervor.
Nicht weniger als dies alles hatte das Kuratoren-Duo im Sinn. Die Welt, das Ganze . . .“Hat je einer das Ganze gesehen, und dann das Einzelne? Ich meine von einem Ganzen, das wirklich etwas ist? . . Zuerst Einzelnes, nur immer Einzelnes . . .“ gibt Mani Matter im Sudelheft II, 41 zu bedenken.
Die Farbdramaturgie der Ausstellungswände in hellen Pastelltönen bietet Renaissance-Werken wie zeitgenössischen Arbeiten eine gefällige Umgebung.
„Schon lange interessieren mich thematische Ausstellungen. Beispielsweise habe ich über Wolken und ‚zerbrechliche Schönheit’ Schauen realisiert“, erläutert Beat Wismer. Die Idee, den Vorhang zum Gegenstand einer Ausstellung zu machen, mutete maßlos an, bis dem Kunstwissenschaftler ein besonders kostbares Bild als Leihgabe zugesichert wurde. Dadurch habe das Projekt eine Art unausweichliche Eigendynamik gewonnen.
Der scheidende Generaldirektor griff für die Ausstellung auch auf Bildschätze aus der reichen Sammlung des Museums Kunstpalast zurück und setzt mit seinem grandiosen Plädoyer für die Kunst auch einen überzeugenden persönlichen Schlusspunkt unter die leidige Debatte um die gescheiterte Privat Public Partnership.
Ein umfangreicher Katalog ist im Hirmer-Verlag erschienen