Zwischen Wunderkammer und Mausoleum

Deutsche Kunstmuseen müssen sich neu erfinden

Die Arche Noah: Urmetapher des Museum als Abbild der Welt. Erst vor gut 200 Jahren aber entstand das Kunstmuseum aus feudalen Sammlungen, denen sich später bürgerliche Privatsammlungen hinzugesellten, die öffentlich zugänglich wurden. Allein 600 dieser Kunsttresore hat Deutschland vorzuweisen, und ihre Zahl ist im letzten Jahrzehnt kontinuierlich gestiegen. Diese Museumslandschaft kann, weltweit einzigartig, mit über 6000 Museen auftrumpfen. Ein großartiges, bewundernswertes Erbe, das freilich bei genauerer Betrachtung Schwachstellen und mehr oder weniger deutliche Spuren von Verfall offenbart, die sich durch aktuelle Entwicklungen verschärfen könnten.
Der Kulturtourismus spült nie da gewesene Besuchermassen in die Museen, seit 1995 stieg ihre Zahl kontinuierlich bis auf sage und schreibe 100 Millionen im Jahr. Für die überwiegend überschuldeten deutschen Kommunen eröffnete sich hier ein viel verheißender Wachstumsmarkt. Angespornt durch spektakuläre Erfolgsausstellungen in Metropolen, investierten Städte ihre letzten Kredite in Museumsneubauten. Zentren wie Berlin, München, Leipzig und Stuttgart bekamen in den vergangenen fünf Jahren neue Kunstmuseen; in Dresden, Hamburg, Hagen und Dortmund wurden bekannte Häuser erweitert. Und auch etwas abseits herrschte reges Treiben: In Essen präsentierte David Chipperfield soeben den Neubau des Folkwang-Museums, vom amerikanischen Stararchitekten Richard Meier stammt das Arp Museum Bahnhof Rolandseck. Sein Kollege Frank Gehry zeichnet verantwortlich für das MARTa Herford. Brühl ist stolz auf das weltweit einzige Max-Ernst-Museum, das 2005 seinen Betrieb aufnahm. Die Liste ließe sich erweitern. Das ist die glänzende Seite der Medaille, die andere Seite aber zeigt, dass Schulden- und Finanzkrise und deren Folgen gravierende Einschnitte mit sich bringen könnten. Kommunen und Großsponsoren aus der Wirtschaft sehen sich in den kommenden Jahren zu drastischeren Kürzungen der Kulturausgaben gezwungen. Der Kölner Stadtkämmerer etwa stellte 30 Prozent Einsparungen im Kultursektor in Aussicht. Bislang flossen aus Konzernen jährlich rund 500 Millionen Euro in Kultursponsoring. Wegen langfristiger Verträge zwischen Museen und Unternehmen dürften die fehlenden Millionen erst ab kommendem Jahr deutlich spürbar werden. Schauen viele Häuser also in die eigene Zukunft, wenn sie die Verhältnisse in Altenburg, Braunschweig, Leipzig und Nürnberg beäugen? Wo etwa die berühmtesten Stücke einer Sammlung ausgeliehen und dem einheimischen Publikum lange Zeit entzogen werden. Wo ohnehin kleine Museums-Teams schrumpfen, und der Personalmangel zu immer kürzeren Öffnungszeiten und zur Streichung museumspädagogischer Angebote zwingt. Kurzum: Wo der öffentliche Bildungsauftrag der Museen in Frage gestellt ist. Womit will man Besucher anlocken, wenn attraktive Wechselausstellungen – aus denen heraus in der Regel Ankäufe für die Museumsammlung erfolgen – nicht mehr finanzierbar sind? Gradmesser des Erfolgs und Argument für staatliche Förderung ist und bleibt die Besucherquote. Wenn diese schrumpft, das Sammeln stagniert und Altbestände weder gesichtet noch restauriert werden können, verwandelt sich das Museum in ein Mausoleum.
In dieser allgemeinen Misere wittern Privatsammler ihre Chance. Sie beglücken Kommunen mit ihren Sammlungen, wenn diese ihnen Gebäude errichten wie für Udo Brandhorst in München, und Sonderbehandlung vertraglich zusichern wie für eine asiatische Kunstfreundin, die es vorzieht anonym zu bleiben. Aus Unzufriedenheit zieht sie ihre „Sammlung Tu“ aus der Weserburg, Bremens Sammlermuseum für moderne Kunst, ab und gibt sie sehr zur Freude von Museumsleiter Markus Müller ins Picasso-Museum Münster. Ob diese Euphorie lange währt, bleibt abzuwarten, denn an die Unterbringung der Sammlung ist keine Schenkung an das neue Domizil gebunden. Vielmehr verpflichtet sich das Münsteraner Museum, die Kunstwerke zu restaurieren und auszustellen. Und die Sammlung kann abgezogen werden – Martin Hentschel, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Museums Krefeld, musste 2007 den Verlust einer hochwertigen Sammlung zeitgenössischer Kunst aus seinem Haus verkraften, die sein Amtsvorgänger Paul Wember im Auftrag von Helga und Walther Lauffs seit Mitte der 1960er Jahre zusammengetragen hatte und als Gegenleistung im Museum ausstellen durfte. Sotheby’s versteigerte die von einem Kunstkenner entdeckten und durch vierzig Jahre im Museum geadelten Kunstwerke schließlich mit sensationell hohem Erlös. Sein Fazit: Aus dieser Affäre habe er gelernt und werde sich keine Privatsammler im großen Stil mehr anlachen.
Sammeln ist bekanntlich eine Leidenschaft, die selbst betuchte Kunstfreunde an räumliche Grenzen stoßen lässt. So kommt es manchen ganz gelegen, dass öffentliche Museen um ihre Kunstschätze buhlen.
Der schleichende Identitätsverlust des Kunstmuseums hat längst begonnen, weil jene Privatsammler mit ihren persönlichen Vorlieben zwangsläufig den überzeitlichen Auftrag des Museums in Frage stellen, wissenschaftliche Kompetenz und ästhetische Urteilskraft untergraben. Während der bekannte Kunstwissenschaftler Michael Fehr auf den traditionellen Aufgaben des Kunstmuseums beharrt, fordert sein Wiener Kollegen Philipp Blom „Mut zum Wegwerfen“. Für Benjamin Buchloh bedeutet Kulturindustrieproduktion per definitionem die Zerstörung des Gedächtnisses. Somit stehe der ursprüngliche Auftrag des Museums, zu sammeln und damit Gedächtnis zu konstruieren, nicht mehr im Mittelpunkt.
Wo also stehen die Kunstmuseen hierzulande? Einige Beispiele. In Hagen wurden Ende August Osthaus- und Emil-Schumacher-Museum ihrer Bestimmung übergeben. In Duisburg eröffnete im Januar das private DKM-Museum. Diese drei Häuser repräsentieren Kunstmuseums-Typen mit unterschiedlichen Profilen: Zum einen das traditionelle Haus, in dem der Unternehmer Karl-Ernst Osthaus Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals ausschließlich Kunst von Zeitgenossen sammelte und ausstellte. Der historische Bau wurde um einen neuen Trakt erweitert, der ihn mit dem Emil-Schumacher-Museum verbindet. Viel Glanz, auf den freilich der dunkle Schatten der überschuldeten Stadt Hagen fällt. Tayfun Belgin, Museumsleiter seit Oktober 2007, gründete den Freundesverein des Osthaus-Museums, um, wie er sagt, „in der Zukunft eine substantielle Unterstützung für Ausstellungsprojekte und Ankäufe zu erhalten.“ Als Hauptsponsor hat er die Hagener Douglas Holding gewonnen, die im Museums eine Lounge einrichtete und Wechselausstellungen unterstützt. Einwände gegen diesen Sponsoren-Auftritt lässt Dr. Belgin nicht gelten: Die Subventionsgesellschaft gehöre seit über einem Jahrzehnt der Vergangenheit an. Das monographische Museum nebenan wurde von Ulrich Schumacher, dem Sohn des Informel-Künstlers Emil Schumacher gestiftet. Er selbst steht dieser Stiftung vor und firmiert auch als Museumsdirektor auf Lebenszeit. Sein wissenschaftlicher Leiter Alexander Klar betont den Gestaltungsfreiraum, der ihm vom Stifter zugestanden werde. In Duisburg eröffnete im Januar 2009 das DKM-Museum der Sammler Dirk Krämer und Klaus Maas. Seither kann die Stadt mit drei Kunstmuseen auftrumpfen: Lehmbruck-Museum, Museum Küppersmühle und DKM-Museum. Auf dem Prinzip der Puplic Private Partnership beruht die Stiftung Museum Lehmbruck. Um die 1 142 Werke aus dem Nachlass im Lehmbruck-Museum für die Museumssammlung erwerben zu können, steuerten im Dezember 2008 der Kulturbeauftragte der Bundesregierung, die Kulturstiftung der Länder, sowie Land und Kunststiftung NRW sechs Millionen Euro bei, fünf Millionen und einen bis 2013 gesicherten jährlichen Zuschuss von zwei Millionen Euro stellte die Stadt bereit, und drei Duisburger Großunternehmen schulterten weitere fünf Millionen und stockten den Stiftungsetat auf 4, 6 Millionen Euro auf. Der neue Museumsdirektor Raimund Stecker schwelgt: „Das Lehmbruck Museum mit den privaten Museen DKM und Küppersmühle bildet doch eine gleichsam traumhafte Konstellation für eine Nichtlandeshauptstadt mit knapp 500 000 Einwohnern bildet. Wo finden Sie andernorts eine solche Pro-Kopf-Dichte der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts auf einem solch hohen Niveau?“
Das Museum Küppersmühle (MKM), ein Speicherbau im Innenhafen, nahm die Sammlung von Ulrich und Sylvia Ströher auf. Informel-Kunst und erstklassige zeitgenössische deutsche Malerei seit 1960 aus der einstigen Sammlung Grothe sind im denkmalgeschützten Gebäude ständig zu sehen. Fünf Wechselausstellungen im Jahr organisieren Walter Smerling und die Bonner Stiftung Kunst und Kultur. Die Schweizer Stararchitekten Herzog und Meuron, die den Industriebau 1997 bis 1999 umgestalteten, werden ihm bald einen Erweiterungskubus aufs Dach setzen.
In markant umgenutzter Industriearchitektur fand auch das DKM-Museum seinen Sitz. Weil Dirk Krämer und Klaus Maas ihre Sammlung aus Positionen zeitgenössischer Kunst und Werken fernöstlicher Kunst ausschließlich nach ihren Vorlieben aufbauten und korrespondierend präsentieren, unterscheidet das DKM sich grundsätzlich von den meisten privaten Museen zeitgenössischer Kunst, die Chris Dercon, der Leiter des Münchener Hauses der Kunst, in seiner Helmholtz-Vorlesung als Klone mit austauschbaren Sammlungen bezeichnete.
Ist der überzeitliche Anspruch der Kunstmuseen bei radikal schrumpfenden Kanonisierungsfristen und aktuellen Kunstwerken, die sich ihrer Musealisierung widersetzen, weiter aufrecht zu erhalten? Soviel ist sicher: Die wissenschaftliche Revision der Depotbestände käme künftig zu den traditionellen Aufgabe des Kunstmuseums hinzu. Sollte anstatt in spektakuläre Neubauten und schnell vergessene Events nicht besser in den Erhalt teils heruntergekommener alter Museen und deren Sammlungen und Bibliotheken investiert werden? Wie sehen Lösungsansätze aus?
Einige experimentierfreudige Museumsdirektoren machen vor, wie es gehen könnte. Markus Heinzelmann etwa schlägt in Wechselausstellungen sinnstiftende Brücken zwischen zeitgenössischen Kunstwerken und Arbeiten der eigenen Museumssammlung und überzeugte die Jury des Kunstkritikerverbandes, die sein Museum Morsbroich (bei Leverkusen) unlängst zum Museum des Jahres 2009 kürte. Max Hollein vom Städel Museum Frankfurt nimmt eine Tradition des späten 19. Jahrhunderts auf, wenn er an bürgerliches Engagement appelliert mit dem Slogan „Frankfurt baut das neue Städel. Bauen Sie mit!“ Fünf Millionen aus dem Konjunkturpaket des Bundes sicherte er sich zudem, indem er das Museum als Bildungseinrichtung definierte, vergleichbar Schule und Universität. Neue Prioritäten setzt auch sein Kollege Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlin, wenn er sich von den Plänen seines Vorgängers verabschiedet, die über Berlin verteilten Kunstschätze in einem Neubau auf der Museumsinsel zusammenzuführen. Gerade die kleineren Häuser müssen auf eine Neuordnung ihrer Sammlungen und Konzentration, Tauschgeschäfte und Kooperationen setzen. So haben sich 20 Museen der Region für die Kulturhauptstadt Europas Ruhr.2010 vernetzt und wollen mit ihren Sammlungen auch in der Zeit danach als ideelles Museum eng zusammenarbeiten. Das Kaiser-Wilhelm-Museum Krefeld wird Ende des Jahres wegen Umbaumaßnahmen geschlossen, und so durfte sich Rainer Stamm, der Direktor des Paula-Modersohn-Becker-Museums Bremen 60 Spitzenwerke der klassischen Moderne von Monet bis Yves Klein aus der Krefelder Museumssammlung aussuchen und bestückte damit die Ausstellung „Farbwelten“, die derzeit in Bremen zu sehen ist und dann bis Ende 2010 durch Museen in Erfurt, Würzburg, Cottbus und Freiburg wandert, ehe sie abschließend in Rotterdam Station machen wird.
Inhalte und Möglichkeiten wandeln sich, das Verhältnis der Partner verändert sich ebenso wie die Beziehung zu Sammlern, Sponsoren und Kunsthandel. Die Kunstmuseen sind gezwungen, sich neu zu erfinden.

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