Wiener Notizen

Der Doppeladler überm Stadtgarten-Tor schwebte im Silberlicht der umschleierten Sonne wie eine enttäuschte Erwartung, und dann am Palmenhaus so freundliche Kellner, dass ich mich fast schämte, so reserviert zu sein. Fliegt selig weiter, ihr Nachtfalter!

Das Wasser sprudelt im Dreivierteltakt den Tritonen ins Maul, und die Windböen, die sich um die einst herrschaftlich monumentalen Bauten fangen, treiben Spritzer durch die Luft wie Verlockungen.

Die Kellner reißen die Fenster der Cafés auf, und unser Blick dreht sich um. Wir schauen hinein, wo die Wandleuchten leuchten im Dämmerlicht, während uns die Sonne blendet. Die Blumenkästen vor den Fenstern weisen den Weg: Sie umrahmen ein Bild, die inszenierte Bühne des Wiener Kaffeehauses, und weisen mir die Rolle der Touristin zu. Erbarmungslos. Ich Nachhinein bezweifle ich mein Wohlgefühl im gemütlichen Ambiente, wenn die beschlagenen Fensterscheiben den Blick nach draußen verhindern.

Nie gesehene Gemälde von Mark Rothko im Kunsthistorischen Museum. Die Flügeltür zwischen der Wechselausstellung mit seinen Gemälden und dem Nachbarraum ist weit geöffnet. Unwillkürlich schweift der Blick von den Flächen in pompeijanischen Farben zu den aus sich heraus leuchtenden Heiligengestalten Alter Meister. Und dann wandert der Blick zurück zu den Farbrechtecken, und auf einmal weiß ich, dass Rothko in seinen abstrakte Gemälden alle Schätze der Kunstgeschichte verschlossen hat wie in Tresoren, durchlässigen Tresoren. Die figurativen Erzählungen von den pompejanischen Wandmalereien bis zu den Vorbildern der Moderne sind in der Abstraktion gegenwärtig.

Der Goldgrund, Schädelformen wie Mandelkerne und die Spinnenfinger: Der Meister vom Heiligenkreuz und Zeitgenossen in der Kunstkammer. Heiligmäßiges Leben als Versprechen.

Der Phantastische Realismus hat mich eine als Teenager eine kurze Zeit begeistert, wie der Jugendstil auch, die Präraffaeliten und Aubrey Beardsly. Deshalb griff ich nach der Plattenhülle, dessen Cover mich ansprach und kaufte die Platte von einem gewissen Arik Brauer, obwohl mir von Ö3 nur sein Lieder „Der Spiritus“ bekannt war. So trat Arik Brauer in mein Leben und verschwand ebenso schnell wieder, bis zu meinem Besuch in Wien, diesen Juni. Da bin ich ihm wiederbegegnet im Jüdischen Museum Wien. Die Ausstellung zu seinem 90. Geburtstag bettete seine gattungsübergreifende künstlerische Arbeit ein in sein soziales Leben als Wiener Jude. Erst jetzt weiß ich von den Härten seines Daseins und von seiner großen Anmut und Leichtigkeit.

Wie mühelos die Karyatiden ihre Last tragen! Alles eine Frage der Statik. Wie es auch eine semiotische Frage ist, das Glockengeläut nicht als erhabene Reaktion auf den Tumult der Lesben- und Schwulen-Demo zu hören

Sonntägliches Glockenkonzert geleitet uns hinaus aus der Stadt, die wir lieben, ihre Menschen und was sie im Laufe der Zeit hervorgebracht haben. Die Theaterlipizzaner auf dem Gehsteig unter blühenden Linden . . zauberhafte Eindrücke, so im Vorbeigehen, verdichtet in dieser Stadt.

Pappelflocken spielen im Wind über der träge strömenden Donau. Das schmutzbraune Wasser trägt die Gewitter der vergangenen Nacht von weiter stromaufwärts vorbei. Die Hitze ist gebrochen. Aufatmen. Luftholen wie die Küchenfee beim „tschiken“.

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