Einfall und Inszenierung

Was unterscheidet den einen Einfall, der sich vordrängt, von den vielen anderen? Woher fliegt er mir zu und wächst sich zu einer inneren Unruhe aus, zu einem Zwang beinahe, verwirklicht zu werden? Eher ein Gefühl als ein Gedanke, drängt er danach Gestalt anzunehmen, unausweichlich. Das ging mir durch den Kopf, als ich heute wieder einige Szenen aus meinem Film anschaute. Auch frage ich mich, wie jener Ursprungsimpuls am Leben bleibt, wenn er in Bilder und Töne transformiert wird, ordentlich in eine Dramaturgie eingebunden? Einzelne Einstellungen und Kamerabewegungen atmen den Zauber des Anfangs, was aber die Protagonisten mehr zu sich als zum Gegenüber verlauten, erscheint mir fremd und falsch, und mir schwant, dass ich vor dreißig Jahren Dialogtexte schrieb, die einen Sinn suchten, eine vernünftige Erklärung für mein Vorhaben, aus dem Stand heraus in kürzester Zeit diesen Film zu drehen, um meiner Imagination eines besonderen Ortes Gestalt zu verleihen. Die Sätze, die da gesagt werden, klingen hohl. Sie haben mir damals nichts gesagt, und heute finde ich sie lächerlich. Die Frau und der Mann müssen sich an einem entlegenen Punkt treffen, nicht um – dem romantischen Klischee folgend – sich dort ineinander zu verlieben und Hand in Hand ins Abendrot zu gehen, sondern um als Forscher einen weißen Fleck zu erkunden. Unbekanntes Terrain, historisch wie architektonisch. Das geschieht auf der Folie ausgewählter Textpassagen aus Marat/Sade von Peter Weiß, die um Beweggründe und Ziele der französischen Revolution kreisen, die im Erbauungsjahr des Wasserschlosses Wolfskuhlen die Gesellschaft in Frankreich umwälzte. Das von Ernst Bloch luzid beschriebene Phänomen der Ungleichzeitigkeit: feudale Verhältnisse hier, gesellschaftlicher Umbruch dort. Mit der Poesie tritt eine dritte Bedeutungsebene hinzu, in den von Wolfgang Lederer ausgemalten Schlossräumen, diesen Artefakten in einer historischen Ruine, die mit den Gedichtzeilen Paul Reverdys korrespondieren. Sie umreißen das Desiderat der Versöhnung von Politik und Poesie.

Egon Friedells hinreißend selbstironische Beschreibund seiner Regisseurstätigkeit tröstet mich ein wenig über meine eigene „jugendliche“ Unbedachtheit hinweg. Vielleicht hatte ich auch nicht den Mut, tiefer in mich hinein zu hören und gegen Konventionen zu verstoßen.

„Man sollte nun meinen, meine Regietätigkeit wäre damit erledigt gewesen“, schreibt Firiedell in seinem Text „Wozu das Theater?“. Und weiter: „O nein, denn nach einiger Zeit kam ein Journalist und sagte, dieser Regen sei so natürlich gewesen, fast wie wirklich, und wie denn das gemacht werde, und er wolle darüber einen Artikel schreiben. Ich konnte ihm doch nicht sagen, daß ich mir bloß über einem durchlöcherten Blechstreifen den Mund ausgespült hatte, und erwiderte daher: »Ja, die Sache ist ziemlich kompliziert, aber ich will sie ihnen verraten. Also, Sie wissen doch, daß wir transversale Erdleitung haben? Wenn also der Schaltstrom in das obere Relais eintritt, so geht er nicht, wie gewöhnlich, gleich in den Kommutator, sondern wird vorher über eine Primärspule geleitet. Hierdurch entsteht eine Stromschleife. Das Ganze ist eine Verbindung mit einem longitudinalen Gestänge, das aus neutralem Kupfer hergestellt ist und daher wie ein Rezeptor wirkt. In dem Augenblick nun, wo der Transmitter den Empfängerdraht berührt, entsteht im Schließungskreis ein gleichgerichteter Polarisationsstrom, der Kollektor intermittiert: Und es regnet. Haben Sie alles begriffen?« – »O ja«, sagte der Journalist und verschwand.“

 

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