Jannis Kounellis’ neue Werkgruppe im Museum Kurhaus Kleve
Welche Abenteuer muss „Odysseus“ Jannis Kounellis (75) wohl noch bestehen, ehe er den Weg nachhause findet, auf seine Insel Ithaka, die er einmal als seine Mutter bezeichnete, den Ort seiner Jugend und seines Alters? Gern sieht der Künstler sich in der Rolle des altgriechischen Helden, der sein Ziel erst nach unabsehbaren Umwegen erreichte – wie er selbst, dessen antiakademische Reflexe ihn einst zu einem „enfant terrible“ der Kunstszene machten. Gerade ist Kounellis im Museum Kurhaus gestrandet. Hat etwas von dem, das ihn beschwert, hier gelassen und erlegt es so den Besuchern auf, die seinen Spuren folgen. Er simuliert den Alarmzustand für ein Haus der Kunst: Das Feuer. Freilich ist es verloschen, ehe es die Kunst fressen konnte. Nur Rußspuren an den Wänden und Rauchgeruch künden von dieser Beinahe-Katastrophe, dem Einbruch der Wirklichkeit in den Kunstraum. Vom „Arte Povera“-Diktat einer Vereinigung von Kunst und Leben / Natur blieben in Kounellis’ Schaffen zitierte Natur- und Lebensprozesse.
Im Museum Kurhaus wurde der Arte Povera in den vergangenen Jahren große Aufmerksamkeit gezollt. Nun folgt also Jannis Kounellis seinen Künstlergefährten Mario Merz, Giovanni Anselmo und Guiseppe Penone nach. In der Ausstellung, die vom Künstler persönlich eingerichtet wurde, dokumentieren Schrift- und Ziffernbilder aus den 1950er Jahren sein „work in progres“, ebenso wie ein gewisser Materialmystizismus schon in einer anderen früheren Arbeit – dem dunklen Metallkubus, der vor weißen Baumwollbüscheln überquillt – aufscheint. Hier wird auch des Künstlers Vorliebe für Material-Gegensätze offenbar: weich und hart, gewachsen und konstruiert, organisch und geometrisch. Doppel-T-Träger und graublaue Metallkästen treten in Kleve in Kontrast zu großformatigen Papierblättern, die Kounellis’ „Malerei“ in die Nähe von Skulpturen rücken. Teerabdrücke von Mänteln, in deren unterschiedlichen Abbildern der Künstler selbst anwesend, der Entstehungsakt quasi eingefroren scheint.
Ein halbes Jahrhundert hat Kounellis sein Repertoire an Dingen und Formen weiterentwickelt, ganz erfüllt von seiner „Sehnsucht, nichts zu vergessen“, und hatte dabei immer den unerlösten, instrumentalisierten Menschen im Auge. Das neueste Kapitel seiner künstlerischen Auseinandersetzung finden wir an den Museumswänden: Aufgeschlagen wie die Seiten eines Buchs, hängen da diese Assemblagen: Darauf die Abdrücke wie ein fortlaufender Text, gestammelt und gestottert. Formen wiederholen sich wie eine Litanei – immer strukturiert. Diese einzigartigen Abdrücke teergetränkte Mäntel auf großen Papierformaten erscheinen wie Negative der Wirklichkeit in materieller und geistiger Hinsicht. Zu Kounellis’ suggestiver Inszenierung gehören auch vielfach konnotierte Gegenstände: ein raumhoher Ofen, dessen Kamin den Plafonds geschwärzt hat, Öllampen, deren Flammen die weiße Wand verrußt haben, und alte schwarze Mäntel an Haken hängend, aufgereiht, zurückgelassen von ihren Besitzern – warum auch immer. Ein dunkler Grundton allgemeiner Unsicherheit und Bedrohung nistet in dieser Installation und ruft Assoziationen von Versklavung, Vertreibung, Not und Mangel wach. Der Künstler hat, einem spontanen Impuls folgend, seine eigenen Schuhe dagelassen. Welche unvergleichliche Geste der Scham und Demut!
(bis 29. Januar 2012, www.museumkurhaus.de)
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