„Hängengeblieben im Vorläufigen“

„Sternenstaub“ – der neue Werkkomplex von Franz Erhard Walther im Haus Lange

Bild-1964

Das Leben – eine Anhäufung von Einzelmomenten, die, wie Sternenstaub leuchtend, zwischen den Fingern verrinnen. In dieser poetischen Metapher umreißt Franz Walther Erhard das Ergebnis seiner zweijährigen Suche nach nichts weniger als der Begründung seiner eigenen künstlerischen Existenz. Der 72-Jährige bleibt sich treu, wenn er mit der Ausstellung gleichen Titels ins Haus Lange zurückkehrt, wohin er schon Mitte der 1960er Jahre als Student – in der Klasse von K.A. Götz an der Kunstakademie Düsseldorf – zu den Avantgardekunst-Ausstellungen pilgerte, die Paul Wember ausrichtete. Der luzide Museumsdirektor erkannte das junge Talent, richtete ihm 1969 die allererste Ausstellung aus und erwarb früh Arbeiten für die Sammlung des Kaiser-Wilhelm-Museums.
Heute flaniert der Besucher in dem lichtdurchfluteten Mies-van-der-Rohe-Bau an nicht weniger als 524 Blättern vorbei, die Walther in einem außerordentlichen Akt der Vertiefung und Konzentration zwischen 2007 und 2009 zeichnete und beschrieb. Die DinA4-Blätter hängen, hell gerahmt, in Zweier- und Dreierreihen an allen verfügbaren Wänden des Krefelder Museums. Das Kalendarische seiner Arbeit veranschaulicht der Künstler in der gleichbleibenden Einteilung der Blätter: Links oben, nimmt eine Bleistiftzeichnung die halbe Breite und Höhe der Seite ein, oder zwei Skizzen untereinander illustrieren die handschriftlichen Aufzeichnungen im knappen Stil von Tagebuchnotizen. Diese beziehen sich auf den Zeitraum 1946 bis 1973. Täglich schrieb und zeichnete Walther an dieser aktuellen Werkgruppe. Drei bis vier Blätter schaffte er an schlechten Tagen, an guten Tagen sieben oder acht.
Als Sechsjähriger sieht Walther 1945 von Bomben zerstörte Straßenzüge, und weiß heute, dass diese Eindrücke ihn nachhaltig prägten. „Dieses Fragmentarische, die Zerstörung, das Vorläufige, die Improvisation“, so äußert er in einem Gespräch. „Nichts ist von Dauer, ich bin in diesem Fragmentarischen, dem Vorläufigen hängen geblieben, weil das der größere Eindruck war. Und offensichtlich war auch der Glaube zerbrochen, dass es möglich ist, etwas auf Dauer zu schaffen. Dieses Grundgefühl bin ich nicht losgeworden, es hat mich geleitet.“ Hier vermutet er den Ursprung seiner inneren Einstellung, seiner radikalen Abkehr von Familientraditionen und die Wurzeln seines Eigensinns. Blatt für Blatt erfahren wir mehr von Erhards steinigem Weg aus der hessischen Provinz in die Kunstzentren der Welt. Von kleinen Galerien zur documenta. Von den Stationen Werkkunstschule und Kunstakademie.. Wir werden auch Zeugen einer Revision seines künstlerischen Tuns, das gegen den traditionellen ästhetischen Kanon rebellierte, sich so vom Informel in die Bereiche der Konzept- und Installationskunst bewegte und einen besonderen, bleibenden Rang in der Avantgardekunst der Nachkriegszeit eroberte. Erfahrungen in der Kunstszene der 1960er Jahre, Berührungen mit Lehrern und Kommilitonen wie Polke und Richter, Begegnungen mit Galeristen und Kunstkennern hat er festgehalten. Walther lässt uns teilhaben an seiner schonungslosen Selbstkritik und erhellt gleichzeitig Untergründiges und Randständiges der Kunstszene jener Jahre. 1973 war dieser Prozess für Walther abgeschlossen.

Der vollständige Zeichenzyklus erschien 2009 als Faksimile in einer limitierten Auflage von 700 Stück im Ritter Verlag, Klagenfurt. Das Buch zur Krefelder Ausstellung enthält eine Auswahl von 71 Blättern im verkleinerten Format.

Im Haus Lange bis 5. Februar 2012 Infos unter www.kunstmuseenkrefeld.de

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