Die 15 Lehrjahre des Bildhauers und Hand-Arbeiters Joseph Beuys
Wieviele Familien besitzen wohl einen echten Beuys, ohne es zu wissen? In der sogenannten „schlechten Zeit“ nach dem zweiten Weltkrieg fehlte es an allem, und auch der Student Joseph Beuys hatte oftmals keinen Pfennig in der Tasche. In seinen ersten Studienjahren an der Kunstakademie Düsseldorf – wo Beuys ab Sommersemester 1946 zuerst bei Joseph Enseling, dann von Wintersemester 1947 bis 1954 bei Ewald Mataré Monumentalbildhauerei studierte – fertigte er seine ersten „Multiples“ an: Serien von mehr oder weniger ähnlichen Madonnen und Krippenfiguren, die er aus Ton formte, brannte und lasierte. Er arbeitete auf Vorrat, und diese Figürchen standen im Meisterschüler-Atelier, das er im Dachgeschoss des Akademiegebäudes mit Erwin Heerich teilte, immer in Reichweite. In Reih und Glied auf dem Fenstersims. „Madonnen geh’n immer!“ lautete sein lakonischer Spruch, wenn er von Zeit zu Zeit einige Figürchen einpackte und sich zum niederrheinischen Wallfahrtsort Kevelaer aufmachte.
Beuys frühes Interesse an den Naturwissenschaften ist hinreichend dokumentiert, auch sein ursprüngliches Interesse für die Bildhauerei, entzündet an Plastiken von Wilhelm Lehmbruck. Hingegen umgibt Beuys’ Affinität zu Stofflichem bis heute ein Geheimnis. Liegt dieser Hang möglicherweise in der Prägung seiner „Lehrjahre“ begründet, in denen er mit Holz und Ton umging und mit den Händen arbeitete?
Beuys Wertschätzung der Hand-Arbeit ist an vielerlei Kleinigkeiten ablesbar. Sie zeigt sich etwa im zugewandten Umgang mit dem Tischlermeister Johannes Althoff, in dessen Krefelder Werkstatt er die Tore und das Riesen-Holzkreuz seines einzigen monumentalen Werks, des Büdericher Ehrenmals, fertigen lässt. Kennengelernt hat er ihn durch dessen Sohn Ernst J. Althoff, der nach Tischlerlehre und Meisterschule für das Gestaltende Handwerk bei Hans Schwippert an der Kunstakademie Düsseldorf Architektur studierte. Beuys besaß lange Jahre ein Bett, das Ernst Althoff getischlert hatte, und einen Schrank aus dem eichenen Treppenholz eines von zwei Düsseldorfer Stadthäusern (Cecilienallee 7) von Joseph-Maria Olbrich, die 1962 von Schwippert umgebaut wurden.
Beuys’ Lehrer Mataré war Mitglied im Deutschen Werkbund. Gegründet 1907, verstanden die Mitglieder sich auch als Mittler zwischen bildenden Künstlern, Handwerk und Industrie. In dieser Tradition suchte Mataré Kontakt zu Krefelder Textilunternehmern, um seinen Meisterschülern Aufträge zuzuschanzen. So lernte er auch Fritz Steinert kennen und freundete sich mit dem lebensfrohen Industriellen an, der ein offenes Haus pflegte und regelmäßig Künstler und Intellektuelle zum Meinungsaustausch bei sich begrüßte. Bewirtung inbegriffen – was im Alltag rationierter Lebensmittel schon viel hieß. Für eine kleine Ausstellung im Haus von Fitz Steinert am 1. April 1950 fordert Mataré seine Meisterschüler auf, Arbeiten beizusteuern. Beuys stellt einen Holzlöffel her, 42 Zentimeter lang, 15,5 Zentimeter breit, und mit archaisch grober Anmutung. Steinert erwirbt den Holzlöffel, in späteren Jahren erbt ihn seine Tochter Renate Hauser. Dort verliert sich die Spur. In den frühen 1950er Jahren entwerfen Beuys und seine Kommilitonen auch Krawattenmuster für das Krefelder Unternehmen Storck. Auf der einen Seite herrscht notorischer Mangel an allem, auf der anderen Seite schweißt diese Not Künstler und Lehrer zusammen. Reger Austausch bestimmt die Beziehungen zwischen der Kunstakademie und dem Werkseminar Düsseldorf, wo Gottfried Wiegand, Holger Runge, Hans van der Grinten und wie sie alle heißen, spätere Kunstpädagogen ausbilden. Und mittendrin Beuys. Bei der Neuen Post Düsseldorf, einer frühen Illustrierten, die damals von Günter Rudorf geleitet wird (und mit dem aktuellen Regenbogenblättchen gleichen Namens nichts zu tun hat) sind er, Erwin Heerich, Holger Runge, Hans Ostendorf und Ernst J. Althoff die Jungs für alles. Sie denken sich Kampagne aus, wie die mit Holzraben an Kiosken für das Blatt zu werben. Und sie schnitzen und bemalen und bringen die gefiederten Boten in der ganzen Stadt an. Sie schreinern eine Keller-Bar, und sie steuern Zeichnungen und Fotografien zur Illustrierten bei.
Joseph Beuys lernt den Hof der van der Grintens in Kranenburg kennen, dort scheint er sich geborgen zu fühlen, und gegen Anfälle von Melancholie stürzt er sich in die Feld- und Stallarbeit. Er befreundet sich mit Paul Wember, dem ersten Direktor des Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museums (KWM) nach dem zweiten Weltkrieg und erhält von ihm 1952 den Auftrag, einen Brunnen zu entwerfen. Dann tut er alles, damit sein Werk nicht vor den Mies-van-der-Rohe-Villen aufgestellt wird. Erst 32 Jahre später geht der Brunnen in jene Rauminstallation im KWM ein, die ihn mit Beuys zentraler Arbeit „Barraque D’Dull Odde“ verbindet: Hand-Arbeit transformiert in ein übergeordnetes Konzept.
Zwischen 1951 bis 1958 führt Beuys verschiedene bildhauerische Aufträge durch. So gemeinsam mit seinem Lehrer Mataré das vielgestaltige Mosaik des Südportals am Kölner Dom, das Westfenster des Aachener Dom, und gemeinsam mit Heerich für Alt St. Alban in Köln die Kopie der Kollwitzschen Skulptur „Trauernde Eltern“. Monumentalbildhauerei. Die Grabsteine für Heinrich Nauen in Kalkar und Fritz Niehaus in Meerbusch-Büderich entstehen in diesem Zeitraum ebenso wie die beiden Tische („Chest“ und „Tête“) und ein Regal für eine Privatsammlung in Athen und ein weiterer Tisch (Monk). Beim Ehrenmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs im alten Kirchturm Meerbusch-Büderich kommt es zum Bruch mit Mataré: Beuys führt es gegen den Willen seines Lehrers aus. Das Ehrenmal wird am 16. Mai 1959 in Büderich der Öffentlichkeit übergeben.
In der heute abgerissenen Gaststätte der Düsseldorfer Brauerei Schlösser trafen sich Lehrer und Studenten der Kunstakademie, Architekten und Handwerker an einem Stammtisch. Joseph Beuys gehörte ebenso zu dieser Runde wie der Ofensetzer Wetzel. Auch der Grafiker Erich John, der an der damaligen Werkkunstschule Krefeld lehrte, kannte und schätzte Beuys. Er legte beim Architekten Konstanty Gutschow, der Anfang der 1950er Jahre mit dem Bau des Klinikums Düsseldorf betraut war, ein gutes Wort für Beuys ein, und der beauftragte ihn mit der künstlerischen Ausgestaltung des Neubaus. Ofensetzer Wetzel brachte Beuys auf die Idee, Reliefs aus glasiertem Ton zu verwenden, die in seiner Werkstatt an der Münsterstraße gefertigt würden. Das ganze Vorhaben wurde aber letztlich nach umfangreichen Vorarbeiten Beuys’ abgebrochen, weil Gutschow die Keramikreliefs missfielen. Übrig blieben Teile dieser Beuys-Arbeit, in unterschiedlichem Zustand in alle Winde verstreut. Beuys hatte offenbar auf zwei Motive zurückgegriffen, 1949/50 in Buchsbaumholz geschnitten: „Seestimmung“ und „Wasserfall“. Sie massen ursprünglich 34,3 mal 34,3 Zentimeter. Für die Kunst am Bau im Klinikum modellierte Beuys diese Motive in mehr als doppelter Größe in Ton. Davon wurden Negativformen und daraus Positivformen hergestellt.
Anfang der 1960er Jahre schüttelte Beuys die Monumentalbildhauerei und mit ihr alle formalästhetische Kunst ab und erfand den Begriff der „sozialen Plastik“: Seine neue „vierte“ Dimension ist das menschliche Handeln, ohne das Kunst Gesellschaft nicht verändern kann. Wie ein Reflex auf lang vergangene Zeiten bleibt Beuys Faszination für Werkstoffe wie Fett und Filz, deren ästhetische, mythische, kultische und spirituelle Bedeutung ihn nachhaltig beschäftigen sollte.
Bildunterzeile:
Joseph Beuys‘ Lehmkiste aus seinem frühen Atelier im damals leer stehenden Kurhaus von Kleve (1957 bis 1965). Präsentiert wird die „Reliquie“ eingesargt in einem Plexiglas-Gehäuse im Kurhaus-Museum, das an der Stelle des alten Kurhauses eingerichtet wurde und zu Recht im Jahr 2006 Museum des Jahres war. Im zuletzt eröffneten Beuys-Trakt mutiert das Museum leider zum Mausoleum.