Lyrics und Lyrik auf Augenhöhe
Seine Stimme hat mich als Teenagr schon berührt. Sein kraftvoller, rotziger Einspruch war meiner. Seine verschleierte Zartheit, ja Fremdheit auch. Das blieb so durch die Jahre. Zuletzt bei seinem Konzert im November 2015 in Düsseldorf bezauberte Bob Dylan mich mit einigen tänzelnden Schritten während er mit unvergleichlicher Hauchstimme Cole-Porter-Songs sang, aber neu sang.
Elvis Presley gebührte das ganze Lob, das ihm widerfahre, hat Bob Dylan einmal geäußert. Damit bezog er sich offensichtlich auf des Kings Großtat, den Blues der schwarzen Amerikaner so durchdrungen zu haben, dass er ihn transformiert als Rock n’ Rock populär machen konnte. Aber die einstigen Sklaven hatten ja nicht nur Rhythmus und Musikalität im Blut, sie hatten auch eine Sprache, die nicht die der Weißen war, und deshalb anziehend auf Künstler wirkte. Sie erlebten die Blues-Sessions begnadeter afroamerikanischer Musiker wie Erleuchtungen, aber kein Künstler seiner Generation ist so tief in den Untergrund der amerikanischen Folk-Tradition eingedrungen wie der Predigersohn aus Duluth/Minnesota. Keiner ließ sich auch so sehr ein auf die Musik der Einwanderer, zu denen seine Vorfahren zählten. So durchzieht der europäische Dreivierteltakt viele seiner Lieder, und die Bibel-Metaphorik ist in ihnen allgegenwärtig. Gewendet freilich, uneigentlich, verfremdet aber immer mit einer Botschaft. Auf diesem Humus christlicher Ethik gedieh Dylans Engagement für die schwarze Bürgerrechtsbewegung und gegen eine amerikanische Weltherrschaftspolitik, die Kriege führte.
Amerikanische Geschichte sickerte gleichermaßen in Bob Dylans lyrics wie in seine „Chronicles“ ein und liegt nun in einer seit gut 50 Jahren gewachsenen lyrischen Erzählung vor uns. Da er Stimme hatte, fing Dylan irgendwann an zu singen, was ihm durch den Kopf ging, und ungeschönt stieß er seine Anklagen, Nöte und Enttäuschungen hinaus, schrie, was eine ganze Generation umtrieb. Ein Riesenkonvolut von 47 Studio-Alben und unzähligen Live-Mitschnitten zeugt heute von jenem anderen Amerika und erinnert an die verratenen Maxime des Anfangs.
Dem Nobelpreis-Kommitee ist zu seiner mutigen Entscheidung zuu gratulieren. Darüber hinaus bedeutet eine Literaturnobelpreisträger Bob Dylan, dass die heere Literatur von ihrem Korsett sich befreit und öffnet. Der konventionellen Kanon wird endlich belüftet. Gleichzeitig ist es eine charmante Geste der Schweden in Richtung Trump & Co, denen der Literatursnobelpreis für einen einstigen Protestsänger bestimmt gar nicht gefällt.