„Man musste Glück haben“

Stararchitekten in Krefeld: Hans Poelzig

Die Form thriumphierte in der expressionistischen Architektur über die Funktion und hob sich so deutlich von den beiden anderen Reformbewegungen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, Bauhaus und Heimatstil, ab. Fritz Steinert, der eine Tochter des Textilunternehmers Stork geheiratet hatte, holte Poelzig nach Krefeld. Außerhalb der Stadt, an der Kliedbruchstraße 69, errichtete der renommierte Baumeister und Lehrer ab 1929 ein Haus für die Familie des Seidenfabrikanten, das einzige Einfamilienhaus, das er je für einen einzelnen Bauherrn geschaffen hat. Der Hausbau in Krefeld vollzog sich zur gleichen Zeit wie die Errichtung des IG Farben-Verwaltungsgebäudes in Frankfurt, mit dem Poelzig das viel beachtete, seinerzeit größte Verwaltungsgebäude in ganz Europa errichtete. Die Familie Steinert bezog das Haus 1932 und bewohnte es bis zu seinem Verkauf an die Familie von Dr. Kurt Müllers wann? , die das denkmalgeschützte Haus vergrößerte.
Nicht realisiert wurde ein Theaterbau für Rheydt, für den man ab 1924 Hans Poelzig und Martin Dülfers gewinnen wollte. Poelzigs Entwurfskizze, die er nach einem ausführlichen Anforderungsprofil 1926 in seinem Atelier an der Preußischen Akademie der Künste Berlin anfertigte, ist verschollen. In der Plansammlung der Technischen Universität Berlin sind jedoch eine Außenansicht, ein Schnitt durch den Baukörper und ein Plan für das Mittel- und Oberparkett einhalten. Beide Architekten hatten Rheydt besucht, und mussten, als der Stadtrat das Vorhaben wegen zu hoher Kosten stoppte, lange auf ihr geringes Honorar warten. Empfohlen hatte den „konservativen Modernen“ Poelzig sein Umbau des Berliner Zirkus Schumann zum Großen Schauspielhaus für Max Reinhardt. Seit 1907 gehörte Poelzig dem Deutschen Werkbund an, der sich „die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk durch Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme zu einschlägigen Fragen“ aufs Panier geschrieben hatte. Poelzigs Bauten wurden von Zeitgenossen als „Kolosse auf tönernen Füßen“ beschrieben, seine „vordergründig lastende Architektur“ als „innerlich vibrierend“.
Nach dem zweiten Weltkrieg ehrte Krefeld Hans Poelzig mit einer Ausstellung seiner Bauten, Entwürfe und Gemälde, die im Kaiser-Wilhelm-Museum vom 17. Februar bis 18. März 1951 stattfand. Der Katalog wird derzeit antiquarisch für 85 Euro angeboten
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Renate Hauser, geb.Steinert, zog es zu Lebzeiten einmal im Jahr in ihre Heimatstadt Krefeld. Bei ihrem letzten Besuch erzählte sie von Kindheit und Jugend im Poelzig-Haus

IB: Wie kam es zu dem Bauauftrag an Hans Poelzig?
RH: 1925 hat mein Vater Hans Poelzig kennengelernt. Das weiß ich vom Erzählen, ich kam erst 1926 auf die Welt. Mein Vater begeisterte sich für die Moderne. Er sammelte zeitgenössische Kunst und bewunderte die Arbeit dieses Architekten. Das ging so weit, dass er sich den gleichen Haarschnitt wie Poelzig verpassen ließ, eine den späteren Beatles-Köpfen ähnliche Art von Bubikopf, mit dem zeitgenössische Reformkünstler ihr Anderssein demonstrierten. Hans Poelzig hatte damals ein Meisteratelier an der Preußischen Akademie der Künste und war gleichzeitig Professor an der Technischen Hochschule Berlin. Poelzigs expressionistische Architektur: die kristallin anmutenden Formen, diese horizontalen, um die Ecke laufenden Fensterbänder und die abgerundeten Ecken, begeisterten meinen Vater so sehr, dass er ihm einen Brief schrieb und anfragte, ob er wohl ein Haus für seine Familie bauen würde.
IB: Und er bekam Antwort?
RH: Erstaunlicherweise sagte Poelzig sofort zu, obwohl er doch seit Errichtung des Festspielhauses in Salzburg (1920) und dem Umbau des Großen Schauspielhauses Berlin (1918/19) zu den am meisten beachteten Architekten in Europa zählte. Mein Vater kaufte 10 000 Quadratmeter Grund zu dem aus heutiger Sicht unglaublichen Preis von 17 Pfennigen pro Quadratmeter. Das fünf Morgen große Gründstück lag außerhalb der Stadt und musste erst ans Strom- und Wassernetz angeschlossen werden. Für den benachbarten Bauern Schmidt war Strom noch Teufelszeug.
IB: Gab es bei den Bauarbeiten noch andere Probleme?
RH: Hans Poelzig hatte ein rundes Rietdach geplant, dem das Stadtbauamt jedoch seine Zustimmung versagte. Das eigenwillig geformte Dach war riesig, die einzelnen Zimmer für Vater, Mutter, meine zwei Schwestern und mich, sowie eine Haushaltshilfe fielen dageben klein aus.
IB: Erinnern Sie sich an Details der Innenausstattung?
RH: Es gab eine Ballustrade, und einen wunderschönen Treppenaufgang, dem man ansah, dass Poelzig dem Deutschen Werkbund und seiner Maxime der schönen und funktionellen Form vollauf verpflichtet war..Thorn Prikker hatte ein Mosaik gestaltet, das heute im Museum ist, Teufen ein bleiverglastes Fenster mit einem Kranich geschaffen, und neben dem Hauseingang hing eine Seidenblume von Mataré. Ein Adler von ihm stand auf der letzen Treppenstufe im Garten.
IB: Mit welchem Gefühl denken Sie an Ihre Kinder- und Jugendzeit in diesem Haus?
RH: Ich bin mit Bildern und Musik groß geworden, was mich geprägt und bis heute nicht loslässt. 1926 geboren, war ich sechs Jahre alt, als wir den Neubau bezogen. Mir ist vor allem im Gedächtnis, dass unser Haus stets offen war. Auf den Festen floss Moselwein in Strömen und es wurde viel gescherzt. Gleichzeitig gab es tiefgehende Diskussionen über Bildende Kunst und Musik. Nicht über Politik. Es herrschte ein innerer Zusammenhalt gegen die Tendenzen draußen. Wir Kinder wurden modern erzogen und durften bei allen Soireen dabei sein, bei Festen, Hauskonzerten und Kerzenabenden.
IB: Welche Künstler haben Sie kennengelernt?
RH: Ganz genau erinnere ich mich an Ewald Mataré und seine Tochter Sonja, auch an Willi Teufen und Wolf von Beckerath. Mit Heinrich Nauen habe ich mal ein Boccia-Turnier in unserem Garten gewonnen. Thorn Prikker entwarf Paramentenstoffe und Kreuze, die im Werk meines Vaters gewebt wurden. Künstler und Bonvivants gingen bei uns ein und aus. Sie haben alle mit uns Kindern gespielt. Nach Kriegsende verkehrten Georg Muche und Gerhard Kadow, die an der Werkkunstschule unterrichteten, in unserem Haus.
IB: Wann ließen sich die politischen Veränderungen durch die machthabende NSDAP nicht mehr übersehen?
RH: Eindeutig nach dem Ausbruch des Krieges. Aber man spürte die Bedrohung schon früher. In der großen Familie Steinert stießen Nazis und Antifaschisten aufeinander, mein Vater war gegen die braunen Machthaber, und achtete darauf, dass in seiner Firma keine Nazis arbeiteten. Er trat im Gegensatz zu meiner Mutter nie in die NSDAP ein. Dem Wittlaerer Pastor Vaahsen, der eine Madonna von Mataré dem Zugriff der Nazis entziehen wollte, half er, indem er die Skulptur in unserem Haus einmauerte. Seit Mataré, von der Kunstakademie Düsseldorf als Lehrer entlassen, zu den entarteten Künstlern zählte, waren auch seine Arbeiten gefährdet. Als ich mit 14 Jahren einen Nazi zum Klassenlehrer bekam, hatte ich prompt in Politik eine 5 auf dem Zeugnis.
IB: Was geschah mit der Kunstsammlung Ihres Vaters?
RH: Die Kunstwerke wurden hinter einem Verschlag im Haus versteckt und überstanden den Krieg unbeschadet. Freilich wurden sie in späteren Notsituationen nach und nach sämtlich veräußert. Eine Putte mit Waage von Mataré, die im Innenhof der Fabrik stand, ist seit deren Zerbombung 1943 verschollen, von Nolde wurde eine Meereslandschaft zerstört. Ich erinnere mich an Sammlungsstücke wie einen Harlekin auf dunklem Hintergrund von Campendonk, zwei kleine Bronze-Kühe und Aquarelle von Mataré, Arbeiten von Feininger, einen kleinen Engel von Nauen, Werke von August Macke und Otto Müller, „Der rote Berg“ von Georg Meistermann und Bilder von Oskar Schlemmer. Für drei Arbeiten von Schlemmer bekamen wir nach der Währungsreform ganze 250 Mark.
IB: Dann hieß es in den 1950er Jahren:Alles auf Anfang?
RH: Wir waren noch einmal davon gekommen und freuten uns des Lebens. Ohne Alkohol, jeder brachte mit, was er hatte, feierten wir 1948 wieder ein Fest im Haus. Zwei Jahre später fand eine Ausstellung mit Arbeiten der Mataré-Klasse statt, in der ja auch Beuys war. Und wir brachen auf, nach dem Sinn zu suchen.

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