Sonderbare Ermunterungen

Kamikaze-Flieger, Nationalflaggen und die Towerbrücke, ein martialisches Ensemble.

Die hauchdünne Seide des über ein Bambusrohr geworfenen Kimonos scheint in einem Walzertakt zu wehen, der von fern erklingt, anziehend schön. Beim Herantreten an das Objekt stutze ich: Flaggen prangen dort, wo auf dem kostbaren Stoff Blüten, Kraniche oder Fächer zu erwarten sind, wie sich herausstellt Nationalflaggen von Italien, Japan und NS-Deutschland, die 1940 den Dreimächtepakt schlossen. Blitzartig sehe ich mich In meiner Neugier und Bewunderung in der Tradition jener, die um die Zeit des Fin de siècle fremde Kulturen anbeteten und ­– ausbeuteten. Mein Schock hat einen Namen: Omoshirogara, was soviel wie bizarre Bilder heißt, und mir zur Einsicht verhilft das Duisburger Museum DKM, das in seiner aktuellen Ausstellung den Blick auf einen wenig bekannten Aspekt in der vielschichtigen Geschichte des ikonischen Gewands richtet: Eingewebte oder aufgedruckte Muster zeigen Schlachtschiffe, Kampfflugzeuge und militärisches Gerät und liefern quasi ein Bilderbuch zur dramatischen Transformation der japanischen Gesellschaft ab 1854 vom Feudalismus in eine Moderne, die vom Militarismus durchdrungen war. Der „Neue Geist“ trug Uniform, Fortschritt bedeutete Imperialismus und Krieg, die Bildung orientierte sich an westlichen Vorbildern. Charakteristische Motive auf 99 – während der Ausstellungsdauer wechselnden – Kimonos aus der Sammlung der japanischen Textilhistorikerin Yoshiko Inui zeigen auf eindringliche Weise nationalistische japanische Symbole wie die orangerot aufgehende Sonne, die sich mit solchen der Anpassung an den „fortschrittlichen“ Westen wie Eisenbahn und Dampfmaschine, Micky Maus und Hakenkreuz verbinden.

Auf erstaunliche Weise inszeniert Robert M. Buergel das aus geheimnisvoller Isolation auftauchende Japan, indem er die Ausstellungsräume schwarz auskleidet und die einzelnen Kimonos teilweise verhüllt, um deren Bild- Muster hervorzuheben.

Hinterm Mond lag Japan für die Politiker der westlichen Welt, die von einem grenzenlosen Fortschritt im Takt der neuen Maschinen träumten. Die US-amerikanische Expansions- und Machtpolitik zwang das noch feudalistisch strukturierte Japan, seine Häfen für den internationalen Handel zu öffnen und stieß das Land, das sein Heil in der Isolation gesucht hatte, in eine Moderne, die Industrialisierung bedeutete und damit den Import von Eisen und Kohle, die es in Japan nicht gab. Letztlich war der japanische Imperialismus eine Folge und der mündete in den japanisch-chinesischen Kriegen, bezwang die russische Armee und schloss im zweiten Weltkrieg einen Pakt mit dem NS-Regime, der Japan und die USA zu direkten Feinden machte. Das Ende: Hiroshima.

Der „Vertrag über Frieden und Freundschaft“ vom 31. März 1854 besiegelte die massive Erpressung durch die US-Regierung, die den Seeoffizier Matthew Perry zunächst mit vier, wenige Monate später mit acht Handelsschiffen als Kurier einsetzte. Diese „schwarze Flotte“ erschütterte die Japaner bis ins Mark, die Flotte wurde vielfach zum Bildmotiv auf Alltagsgegenständen und in Kimono-Stoffe eingewebt. Ein Gedicht offenbart die Aufregung in der Gesellschaft:

„Des Pazifiks
friedlichen Schlummer brechen
die Dampfschiffe
nur vier Boote sind genug
um uns den Schlaf bei Nacht zu nehmen.“

Knaben wurden in Kimonos mit aufgedruckten Kamikaze-Fliegern gekleidet, um ihnen deren selbstloses Heldentum vorbildhaft zu vermitteln. Mütter bezeugten ihre Loyalität gegenüber dem Kaiser, indem sie Kimonos trugen, auf denen aufgedruckte Zeitungsartikel über militärische Manöver und Heer oder Porträts siegreicher Generäle zu sehen waren

Nationalistische Symbole wurden dekorativ in Kimonoseide eingewebt oder appliziert.

Werke zeitgenössischer japanischer Künstler, ausgewählt und präsentiert von Mariko Mikami und Miwa Negoro, vertiefen Einzelaspekte der Omoshirogara-Ausstellung. Das vom Buddhismus geprägte andere japanische Verhältnis zur materiellen Welt und ihrer Vergänglichkeit legt Kei Takemura in ihrer Reparatur-Serie über die Kintsugi-Technik offen: Dinge werden umso mehr geschätzt je öfter sie repariert wurden.

Auf einer großformatigen Zeichnung nähert sich die gebürtigen Koreanerin Jong Ok Ri dem Heldentum junger koreanischen Männer, die sich im zweiten Weltkrieg freiwillig zu Kamikaze-Fliegern ausbilden ließen.

Tu Araki befasst sich in seiner Video-Installation „The Last Ball“ nach einer Novelle von Ryonusuke Akutagawa (1920) mit dem eigenen Blick auf das Fremde und den Projektionen, die damit einhergehen. Das japanische Verhältnis zum Westen, das in der Meiji-Epoche von derartigen Diskrepanzen geprägt war, verkörpert sich in einem Bauwerk, dem Rokumeikan-Palast, der 1883 im westlichen Stil errichtet wurde, um Diplomaten aus Übersee zu empfangen. Die Ehefrauen und Töchter der japanischen Beamten waren gehalten, westliche Kleider zu tragen. Araki filmte ein westlich gekleidetes Paar, das zu den Klängen des Walzers „An der schönen blauen Donau“ tanzt, während Mann und Frau versuchen, den Partner mit dem Handy zu filmen, aber selbst nicht gefilmt zu werden. Was dabei beider Handy aufnehmen, ist neben der Großprojektion der Tanzenden direkt auf einem kleineren Bildschirm zui sehen.

An der Wand hängt der kleine Farbholzschnitt „Taschenspieler“

von Emil Orlik als weiterer Kommentar zum Thema. „Wie ein Traum!“ begeisterte sich im Jahr 1900 der böhmischer Jugendstil-Künstler über das Land der aufgehenden Sonne, in dem er sich aufhielt, um die traditionelle Technik des Farbholzschnitts zu studieren. Betrachten wir seine Arbeiten heute, so sehen wir Handwerker und Pilger, eine Geisha bei der Teezeremonie, Frauen im Kimono mit Huckepack-Säuglingen, Tuschezeichner und Straßenzüge. Alles voller Harmonie. Auch sein kleiner Farbholzschnitt in der Ausstellung lässt nichts ahnen von den problematischen gesellschaftlichen Umbrüchen im Land während seines Aufenthalts, vielmehr drückt die Grafik jene westliche Sehnsucht nach exotischen (auch fernöstlichen) Kulturen aus, deren Bildprogramme prägend in die künstlerische Arbeit einer ganzen Generation einflossen.

 

Die Kuratorinnen Mariko Mikami und Miwa Negoro bieten Führungen auf Japanisch und auf Englisch durch die Ausstellung an. Die Führungen dauern rund eine Stunde und finden statt am

 

Sonntag, 28. November um 14:30 Uhr (Japanisch)

und um 16 Uhr (Englisch)

Anmeldung per E-Mail mail@museum-dkm.de oder telefonisch 0203.93555470

(Die Ausstellung läuft bis 27. Februar)

 

 

 

 

 

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