Der bedeutende Fotograf Willy Maywald ist hierzulande ein Unbekannter
Welcher Fotografieliebhaber kennt sie nicht, die Schwarzweiß-Aufnahme einer Anprobe bei Madame Grès? Anmutig wie eine Göttin steht da eine dunkelhaarige Frau, ein Busen entblößt, Stoffbahnen fließen durch ihre linke Hand, ihr Blick selbstvergessen gesenkt, ein Gänseblümchen zwischen den Lippen.
In aller Atelier-Hektik steht die Zeit still, und diesen unwiederbringlichen Augenblick hat ein Fotograf festgehalten, dessen Name heute fast vergessen ist. Darf ich vorstellen, Maywald, Willy Maywald, Jahrgang 1907, Geburtsort: Kleve. Seine unverwechselbare Inszenierung von Haute-Couture-Mode und seine wahrhaftigen Künstler-Porträts finden sich in allen bedeutenden Abhandlungen zur Geschichte der Fotografie, ihr Schöpfer indes ist nur noch wenigen ein Begriff. In der Association Willy Maywald in Maisons-Lafitte bei Paris schlummert Maywalds Fotonachlass:. Rund 30 000 Fotografien (Negative und Silbergelatineabzüge) werden dort von Jutta Niemann, einer der Erbinnen, gehütet. Zum 100. Geburtstag des Fotografen fand im Stadtgeschichtlichen Museum von Paris Musée Carnavalet eine Ausstellung statt. Gezeigt wurden 200 bislang nicht gezeigte Fotografien des Wahlparisers: Motive von der Weltausstellung 1937 in Paris neben Atelierinterieurs vom Montparnasse, Ansichten von Notre-Dame und aus den Straßen der Seine-Metropole.75 Fotografien aus dem Maywald-Nachlass blieben als Schenkung bei den Pariser Museen. In Maywalds Geburtsstadt Kleve, die der Kosmopolit nie vergessen konnte und deren Künstler er in ihren Ateliers porträtierte, fand im Jubiläumsjahr eine große Ausstellung statt, bestückt aus der dortigen Maywald-Sammlung. Landschaftsfotografien vom Niederrhein, Porträts und Modeaufnahmen. Schon früher erinnerten Ausstellungen im Klever Haus Koekkoek an den berühmten Sohn der Stadt. Die ARD produzuierte eine Fernseh-Dokumentation.
Um das Werk des bedeutenden Fotografen zu bewahren, versuchte auch die Landesregierung NRW vor einigen Jahren, den einzigartige Fotonachlass anzukaufen. Er sollte im Museum Moyland mit einem kleineren Konvolut von Maywald-Fotografien zusammengeführt werden, das Museumsmitbegründer Hans van der Grinten seinem Haus gestiftet hatte. Damals begutachtete ein Berliner Kunsthistoriker die Fotosammlung und schätzte ihren Wert auf mehrere Millionen Euro. Die Verhandlungen, die der Viersener Kunsthistoriker Dr. J. P. Kastner führte, endeten ergebnislos.
Auf der Trottoir-Kante tänzelt eine junge Frau. Kapriziös vom Körper abgewinkelt ihre schwarz behandschuhten Hände. Weit schwingt ihr dunkler Rock, das enge helle Jäckchen zur Wespentaille gegürtet. Ein asiatisch anmutender Hut beschattet ihre Augen, darunter ein großer roter Mund. Formvollendet inszeniert, die weibliche Silhouette. Wir schreiben den 12. Februar 1947, Frühlingsahnung vor kahlen Alleebäumen. Aufbruch auch für den Fotografen Willy Maywald, der die erste Nachkriegskollektion von Christian Dior in Paris fotografiert. Seine Lichtbilder gehen um die ganze Welt und machen den New Look berühmt. Es folgen Aufträge von Jacques Fath und anderen Haute Couture-Häusern. Maywald steht im 40. Jahr, und am Anfang einer steilen Karriere. Er lebt und arbeitet nun seit 1931 in seiner Traumstadt Paris. Hat dort 1938 die erste spektakuläre Ausstellung der Surrealisten erlebt, mit Salvadore Dalis Feuchtbiotop-Taxi, Max Ernsts „Witwe“ und Meret Oppenheims Pelztasse. Doch alle künstlerische Begeisterung wurde immer stärker verdunkelt von den Geschehnissen in Hitlers neu proklamierten „Tausendjährigen Reich“. Die Ausdruckstänzerin Valeska Gert war nur eine von vielen Freunden Maywalds, die sich wie Lion Feuchtwanger, Hans Bellmer, Walter Hasenclever und Franz Werfel vor den braunen Schergen an die Seine gerettet hatten. Nur eine Unterbrechung, denn vieler Flucht sollte bald in Richtung USA weitergehen.
Kleve, seiner Heimatstadt, hat Willy Maywald immer die Treue gehalten. Selbst in schlechten Zeiten besuchte er dort Eltern und Freunde und auch in „Die Splitter des Spiegels“ – so der Titel seiner illustrierten Autobiografie von 1985 – glänzt die versunkene Kindheit im vornehmen Hotel seiner Eltern in der preußischen Kurstadt zauberisch. Seine Weltläufigkeit und Offenheit wurden dort geprägt. Russische Prinzessinnen und englische Lords, die als Gäste abstiegen, brachten den Duft der großen weiten Welt an die Nassauer Allee. Sie erweckten Neugier und Sehnsucht des Knaben und entfachten seine Neigung für alles Schöne: extravagante Kleider, fantastische Kostüme und Dekorationen. Der Glamour der Film- und Theaterstars zog ihn magisch an. Willy träumte sich in jene unerreichbare Glitzerwelt, gerade als Deutschland siegessicher in den ersten Weltkrieg taumelte und der Junge immer häufiger mit militaristischen, nationalistischen, ausländerfeindlichen Landsleuten zu tun hatte. Früh entwickelte er eine Abneigung gegen Engstirnigkeit und jenes feine Sensorium für Ungerechtigkeit, das auch in seiner Autobiographie zum Ausdruck kommt. Maywald erinnert sich darin der Not und Entbehrungen, die er am eigenen Leib verspürt hat, und seine Ausführungen durchzieht eine wache Aufmerksamkeit für die Schattenseiten des Daseins.
Sei es seine eigene Kasernierung im Internierungslager Les Milles nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs oder seine Beobachtungen beim Lager Gurs, seien es auch die Begegnungen mit Emigranten aus Nazi-Deutschland, die um ihr Leben fürchteten und in der französischen Metropole Zuflucht suchten, er schaute nie weg, sondern mischte sich ein und versuchte zu helfen.
Willy Maywald war ein barocker Mensch: Eingedenk der dunklen Seiten des Lebens, freute er sich seines Daseins besonders intensiv. Berauschte sich um so mehr an seiner Schönheit, an Spiel und Leichtigkeit und Überfluss. Auf Kostümbällen und Atelierfesten durchtanzte er die Nächte; seine Clique traf sich im Café du Dôme, unternahm spontane Ausflüge, war in luxuriösen Häusern zu Gast, begnügte sich selbst mit engen Atelierwohnungen. Jeder kannte jeden in der Pariser Künstlerszene, die sich mit der „jeunesse d’oree“ überschnitt, und mittendrin Maywald – in seinem Element. Es dauerte nicht lange bis er wegen seiner ausgefallenen Fotoreportagen – etwa über Renoirs üppigem Garten in Cagnes – zu den begehrtesten Fotografen seiner Zeit gehörte. Privatleben und Beruf verschmolzen miteinander: Seine Auftraggeber zählten ihn zu ihren Freunden, und in den Ateliers vieler Künstler ging er ein und aus. So entstanden Mitte der 50er Jahre, als die schwarz gewandetenen Jünger des Existentialismus im Café de Flore von Saint Germain des Prés den Ton angaben, die unvergleichlichen Porträtfotografien von Pablo Picasso, und George Braque, von Hans Arp, Marc Chagall und vielen anderen.
Anfang der 1970er Jahre fanden erste Ausstellungen mit Willy Maywalds-Fotografien statt, Galerien begannen sich für den Künstler zu interessieren. Eine Retrospektive richtete das Museum Kleve aus, Einzelausstellungen gab es im Schlossmuseum Cagnes und im Palazzo Ducale Genua. Vertreten waren Maywald-Fotos auch in der Schau „Paris, Paris“ im Centre Pompidou. Jenseits des Großen Teichs arrangierte das Fashion Institute of Technology 1982 die größte Maywald-Ausstellung mit 150 Aufnahmen. Seine Photos waren von Sao Paulo bis Tokio überall zu sehen. Nach des Künstlers Tod schlief das Interesse wieder ein – bis heute wartet der Maywaldsche Fotoschatz darauf, gehoben zu werden.