Die Künstlerin Ulrike Zilly porträtiert Edelleute in ihrer Umgebung.
Wie ein roter Ball hüpft Ulrike Zilly in die heiligen Hallen des Hochadels, erstaunt beäugt von den Gastgebern. Dabei steht die Neugier der Düsseldorfer Künstlerin auf die Begegnung mit dieser fremden Spezies, die da in Deutschland (und weltweit ) verborgen lebt, hinter den sieben Bergen, deren Staunen in nichts nach. Eine der jüngsten Sitzungen führte sie zu Constantin Freiherrn Heereman von Zuydtwyck Surenburg.
Zilly verliert keine Zeit, klappt ihre Staffelei auf, zückt den Pinsel wie eine Naturforscherin das Mikroskop und versucht sich im Fassadendickicht ihres Gegenübers einen Weg zu bahnen. Rund zwei Stunden bleiben ihr, um zum Kern vorzustoßen und eine gültige Innenansicht zu umreißen.
2006 hat Ulrike Zilly ihre Abstecher in die Parallelwelt des Adels begonnen, und steckt immer noch mittendrin in dieser Art künstlerischer Feldforschung, die sich einerseits auf jedes einzelne Rendezvous mit einer Hochlaucht bezieht, aber andererseits das Gesamtunterfangen nie aus den Augen verliert. Wie einst die romantischen Maler und Dichter zieht auch sie eine Sehnsucht nach eigentümlichen Landschaften hinaus auf ihre Routen quer durch Deutschland.
Die Von und Zu haben es eigentlich nicht nötig, sich auf einen solchen Prozess der Begegnung einzulassen, von analytischen Psychogrammen ganz zu schweigen. Dennoch muss Ulrike Zilly sich meist nicht anbiedern, um einen Termin bei Hochwohlgeboren zu bekommen. „Der Anfang war zäh“, erinnert sie sich. „Aber als die ersten Sitzungen zu beiderseitiger Zufriedenheit absolviert waren, hat sich das in Blaublüter-Kreisen schnell herumgesprochen, und heute bedarf es keiner Überredung mehr“, so die Künstlerin.
In der Regel bleiben die von Alters her Privilegierten gern unter sich. Auch 90 Jahre nachdem in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 verfügt wurde, die öffentlichrechtlichen Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes aufzuheben, Adelsbezeichnungen nur noch als Teil des Namens gelten zu lassen und Titel nicht mehr zu verleihen,
hat das Selbstbewusstsein von Adeligen kaum gelitten. Vorbehalte gegenüber anderen „Kasten“ sind spürbar. Sei es als Reflex auf nachwirkende Anfeindungen gegenüber der verantwortungslosen, hedonistisch-sorglosen Lebensart und den Militarismus mancher Vorfahren, sei es aus einer konservativen Grundhaltung heraus, die ehernen Gesetze ihres Standes gegen Sinnverlust und Orientierungslosigkeit unserer Tage zu schützen. Die Eliteforschung förderte zu Tage, dass die höhere gesellschaftliche Durchlässigkeit der Nachkriegszeit, die Proletariern, Klein- und Bildungsbürgern einen Aufstieg ermöglichte, rückläufig ist, und in den vergangenen Jahrzehnten Adelige wieder häufiger für „höhere“ Aufgaben herangezogen werden. Allenthalben ist in unserer postideologischen Epoche eine neue Stimmung gegenüber dem Adel auszumachen, die ihn mehr und mehr zum Retter in der (Wirtschafts-) Krise stilisiert.
Ulrike Zilly freilich wollte immer nur einen weißen Fleck ihrer Künstlerinnen-Topografie erforschen. Ihr Interesse für Porträts wurde früh geweckt von den Skizzen Toulouse-Lautrecs. Als Studentin an der Kunstakademie Düsseldorf äffte sie seinen Lebensstil nach, setzte sich in Spelunken und zeichnete Leute. „Es braucht Mut, in der Öffentlichkeit zu zeichnen“, stellt sie fest. „Porträtieren ist eine Form des Sich-stellens.“ Zwischen Silhouette, Flächigkeit und Linie das naturalistische Abbild zu brechen und dennoch einen wahrhaftigen Ausdruck zu finden, ist ihr Anliegen bis heute. „Als Porträtistin hilft uns Zilly, die Nähte ein wenig zu lockern“, meint Bazon Brock. Und weiter: „Dass der Maler selbst ein Wandler und Malerei als Wandlungsgeschehen glaubhaft sein können, lassen wir uns von Zilly sagen, auch wenn dazu kein Wandlungsglöckchen läutet oder Kassen klingeln.“
Der Künstlerin Konzept setzt auf Bewegungen und Wechselwirkungen. In ihrem Wagen legt sie tausende Kilometer zurück, auf immer schmaler werdenden Straßen, in tiefen Wälder und auf steilen Felsen und besucht jene Geheimnisvollen auf ihren trutzigen Burgen, funkelnden Schlösser und weitläufigen Gütern, deren Namen nach Geschichte und Geschichten duften: Wolfgang von Zeppelin im Technikmuseum Friedrichshafen, Prinzessin Viktoria von Preußen, Graf von Kalckreuth, der Herzog von Urach, Baron von Seckendorff, Gräfin Nyari, der Freiherr von Poschinger und all die anderen exzentrischen Geschöpfe. Sie sich wie auf einer Perlenkette, die Von und Zu, in deren imposanten Namensketten Familiengeschichte sich spiegelt. Sie nimmt ein Tässchen Tee mit der Gräfin oder wird an die Mittagstafel des Herzogs gebeten, an der sich auffallend viele Kinder tummeln. Die Fremde wagt den Vorstoß in die „komplicirte Maschine, als die Verhältnisse und einmal erworbne Rechte des höheren Stands sich darstellen“ (Alexander von Humboldt) und weiß, dass sie auch scheitern kann in ihrer Absicht, etwas davon in die Welt zu bringen.
Unvoreingenommen ihr Blick, ihre Haltung: Distanz und Hingabe gleichermaßen. Dabei überblendet sie das Konterfei ihres Gegenübers mit der umgebenden Landschaft, mit dem Gestüt, den Stallungen und Kellern, die man ihr stolz gezeigt hat. Verschränkt das Porträt mit der Ahnengalerie, dem Spiegelsaal und den Zimmerfluchten. Auch mit der Kälte und Feuchtigkeit vielhundertjährigen Gemäuers, der Härte strengen Standes-Reglements, für die gesicherte Lebensentwürfe, Zusammengehörigkeitsgefühl und Solidarität untereinander entschädigen. Ihr Wissen um die Zwänge und Verpflichtungen fließt in das Porträt von Hochwohlgeboren ebenso mit ein wie ihre Einfühlung in den Menschen ihr gegenüber und dessen Anstrengungen, die Form zu wahren. Im besten Fall gelingt Zilly die Darstellung eines Schwebezustands, nämlich das Oszillieren zwischen Gegenwart und Geschichte, hier und dort.
„Es scheint für die Porträtierten auch eine Art Therapie zu sein“, erklärt die Künstlerin. „Die einen fühlen sich wohl, weil sie auf einmal mit einem anderen Blick auf sich selbst schauen. Das ist wie ein aus sich Heraustreten.“ Anderen passte es gar nicht, nicht mehr Herr der Situation zu sein. Auch Anfeindungen habe sie erlebt, wenn Porträtierte sich gar nicht gefielen. In der Sitzung kommunizieren zwei Menschen miteinander, deren Bild jeweils klischeebehaftet ist: hie der hochmütige Aristokrat, dort die freie Künstlerin. Innerhalb kürzester Zeit kommen sie sich nah und müssen einander vertrauen wie Freunde. Im Malprozess muss Zilly sich blitzschnell unter 100 Charaktereigenschaften entscheiden und ohne zu zögern die richtige Farbe wählen. Ölskizzen, Zeichnungen und Fotos nimmt sie mit in ihr Atelier, wo sie das Finish nachholt. Das kann lange dauern: Ihr erstes Adeligen-Porträt, den Grafen von Neipperg, konnte sie erst nach sechs Monaten vollenden, weil sie selbst in ihrer Einschätzung gegenüber dem Grafen schwankte. Gern stellt Zilly auch neue Zusammenhänge unter den Porträts her. Etwa hängte sie Bilder bayerischer Adelssprosse neben Bilder von norddeutschen Kindern. Die erste Ausstellung ihrer Adeligen-Projekts, die unter dem Titel „Entre Nous – Alter Adel, neue Porträts“ bis Ende März in der Städtischen Galerie Bamberg stattfand, war etwas Besonderes. Die Finissage geriet zur Performance, auf der die zahlreichen porträtierten blaublütigen Besucher feierten: ihren Mut, sich zu stellen und ihre Berührung mit Kunst, die längst nicht mehr zu den gewohnten adeligen Ritualen wie Familienfeiern und Jagden gehört. Zilly nimmt einen Traditionsfaden wieder auf, der vielen zeitgenössischen Adeligen abhanden gekommen scheint, den Gedankenaustausch zwischen Macht und Kunst. Indem sie für Stunden in die Rolle der Hofkünstlerin schlüpft und die Durchlaucht mit ihrem Charme bezaubert, ihrem Geist provoziert und gleichzeitig die Kappe des Hofnarren trägt, der – auch unangenehme – Wahrheiten aufzeigt, verweist sie auf alte Inszenierungstechniken des Adels. Ob ihre Porträts Eingang in die Ahnengalerien finden, ist für die Künstlerin zweitrangig. Materiell gesehen, zieht sie wohl den Kürzeren, aber sie erlebt von Mal zu Mal wieder den Eros der Erkenntnis und deshalb bleibt sie: Zilly im Glück!
INFO: Das Katalogbuch Entre Nous – Adelsporträts ist direkt bei der Künstlerin zu beziehen: Tel. 0211-652613