Von den Rändern her

Klaus Fritschi – der Architekt als Künstler

„La plus sûre des joies“ (1), die Freude, in die beharrliche Arbeit umschlagen kann, ist Klaus Fritschi vertraut. Das meint über die Idee hinaus, Häuser zu entwerfen und zu erbauen, auf langen Strecken jedem noch so kleinen Detail Aufmerksamkeit zu schenken und konzentriert dennoch das Ganze im Auge zu behalten.

Keine Kleinigkeit. Für den Baumeister Fritschi jedoch bedeutet es über die Erfindung und Erschaffung hinaus immer ein Quäntchen mehr, das ihm unverzichtbar ist: Das Moment der Freiheit, das er seinen Bauten einhaucht, indem er strickt bemessene Territorien unterminiert und unmerklich erweitert. Partisan zu bleiben im Dickicht der Vorschriften und Normen, beflügelt ihn.

Da nun sein Augenlicht krankheitsbedingt von den Rändern her sich verdunkelt, lenkt er seine Konzentration nicht, wie man annehmen möchte, auf das Zentrum seines Bewusstseins, sondern er schenkt dessen Rändern mehr und mehr Aufmerksamkeit. Kein bestimmtes Ziel sondern die Gesamtheit seiner Gefühle hat er im Blick.

So hält Klaus Fritschi einige rote Fäden in seiner Hand und löst nun im Rahmen dieser Ausstellung den einen Faden heraus, der ihn seit jeher mit der Kunst verbindet und zeigt uns ­– etwas von sich.

Mit Vincent van Goghs Worten: „Während ich unentwegt vor Ort arbeite, versuche ich die Essenz im Zeichnen zu erfassen.“ (2)

Wenn der Künstler „pingelt“, so kämpft er immer gegen die Routine des Pingels. Wenn er den Zeichenstift oder den Pinsel in der Hand hält, malt er auch seine Dunkelheiten weg; in unendlichen abstrakten Mustern besänftigt er sich. Das weiße Blatt mag ihm symbolhaft für die eigenen weißen Felder stehen, die er im verdunkelten Augen-Blick erkundet. In dieser seiner Gegenwart spiegeln sich seine grafischen Arbeiten wie Hot Spots seines Lebens:

In den Porträts scheinen nicht nur Gesichter auf und deren Geschichte(n) sondern auch Ereignisse: biografische Punkte eines ereignisreichen Lebens.

In den Landschaften schwingen Stimmungen, die jeder Betrachter für sich imaginiert, sie bergen aber auch Begebenheiten, die nur des Zeichners Erinnerung entschlüsselt. Die Architekturskizzen verraten Fritschis Begeisterung für stilistische Feinheiten. Er verehrt in deren Hinterlassenschaften Baumeister vergangener Zeiten und das Können von Handwerkern und Arbeitern, deren Verstand und Muskelkraft sie einst entstehen ließ. Dieser tiefe Respekt liegt im eigenen Herkommen begründet, wuchs er doch in einer Arbeiter-Siedlung am Schweizerischen Bodensee auf und verhehlt nicht den Stolz auf seine Familie und deren Ideale.

Das freie Leben unter dem Banner „Love, Peace and Happiness“ bestimmte seine jugendlichen Hippie-Tage, doch das Paradies war längst ausverkauft, und Landkommunen brauchten keine Architekten. Also stellte er sich den Realitäten, schloss sein Architekturstudium ab und machte sich auf den Weg in die Arbeitswelt, in deren Gesetzmäßigkeiten er jedoch immer den kritischen Widerspruch lebte, Störungen lancierte oder fruchtbar werden ließ, und die Irritation verehrte, die ja in bürokratischen Apparaten oft als Versagen gilt, in seiner Erfahrung aber auch zu glücklichen Findungen führte.

„Das Unmögliche, ja Absurde hat mich immer interessiert“, sagt Klaus Fritschi, und sieht sich als Gratwanderer zwischen apollinischem und dionysischem Prinzip: „Ob nicht der Geist vielleicht dann seine höchste Kraft gewinnt, wenn er vom Wahnsinn herkommt; seine glühendste Klarheit, . . . ob er sich in der Wahnsinnsnähe genau genommen natürlich nur – erfrischt wie in einem Bad . . .“ (3) Das ist „La folie réelle“ des Paul Valéry (4), das Außer-sich-geraten des Künstlers, der in der Gestalt Klaus Fritschis auch Realist ist, der sich demütig in den Kreislauf der Natur einordnet, wenn er feststellt: „Die Blumen wachsen von alleine, und es gibt auch Unkraut.“ In der Zeit, dahineilende Kurzatmigkeit, will er so bauen, „dass schöne Ruinen bleiben“. (5)

Anmerkungen

1 Gedichtzeile, Émile Verhaerens: „und die Zeit vergeht, plötzlich aber stellt sich erneut die verlässlichste meiner Freuden ein“, aus „Les heures d’après-midi“

2 Vincent van Gogh an Émile Bernard, „While always working directly on the spot, I try to capture the essence in the drawing — then I fill the spaces demarcated by the outlines (expressed or not) but felt in every case, likewise with simplified tints, in the sense that everything that will be earth will share the same purplish tint, that the whole sky will have a blue tonality, that the greenery will either be blue greens or yellow greens, deliberately exaggerating the yellow or blue values in that case“ – zitiert nach wwwvincentvangogh.org / Van Gogh Museum

3 Ludwig Hohl, Notizen VII, 135, S. 432)

4 Paul Valéry – Gustave Fourment: Correspondances, 1957, S. 28

5 Le Corbusier

 

Bild: Klaus Fritschi, Komposition (1965)

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