In Köln wurden von 1000 bis 1500 zahllose Madonnenfiguren gefertigt. Ein Bildband würdigt die Kunstwerke.
Sie lächeln, lächeln, lächeln, die gotischen Madonnen aus Köln! Das beseelte Leuchten auf ihren Gesichtern umfängt den Betrachter und löscht die Bilder von den bleiern-starren Zügen ihrer romanischen Vorgängerinnen aus. Kein Wunder, dass sie sich im Mittelalter zu einer Art Exportschlager für die „hillige Stadt“ entwickelten. Der Wirkungsgeschichte dieser „Märjenbilder“ , ihrer Herstellung in Kölner Werkstätten und Verbreitung bis nach Osteuropa und Skandinavien geht in dem soeben im emons-Verlag erschienene Bildband „Kölner Madonnen“ der Kunszhistoriker Reiner Dieckhoff nach.
Das Buch kommt zur rechten Zeit, um das Selbstwertgefühl der Kölner wieder aufzurüsten, das mit dem Stadtarchiv vor knapp einem Jahr in sich zusammengefallen schien, und erweist dem historischen Gedächtnis der Stadt Referenz durch die vorangestellte Abbildung eines Marienbildnis aus einer Handschrift, die aus den Trümmern geborgen werden konnte.
In seinen vertiefenden Texten liefert der langjährige Mitarbeiter der Kölner Museen zugleich einen Abriss der Marienverehrung von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert und schöpft dabei aus seinen profunden Kenntnissen der Kölner Stadtgeschichte.
45 Marienstatuen aus Kölner Werkstätten werden in meist ganzseitigen Farbfotografien vorgestellt. Von der ältesten plastischen Mariendarstellung, der Goldenen Madonna im Essener Münster aus dem 10. Jahrhundert, über jene, nach dem Vorbild von Bürgermädchen geschaffenen Marienbilder des 13. und 14. Jahrhunderts, bis hin zu jenen wirklichkeitsnahen Statuen, die von der Bildhauerfamilie der Parler inspiriert waren und Darstellungen der Muttergottes als Himmelskönigin im Pariser Stil. Die zunehmende Popularität der Marienstatuen erklärt sich wie von selbst, vergleicht man nur den starr entrückten Gesichtsausdruck der Goldenen Madonna mit dem versonnen schmunzelnden Antlitz der thronenden Muttergottes aus dem Kölner Klarissenkloster St. Klara. Letztere ist als Heilige doch ganz zugewandte Frau. „Ein heiteres Wissen von Freiheit“ liege auf ihrem Antlitz, stellt Dieckhoff fest, während zur gleichen Zeit in Pariser Werkstätten die Muttergottes höchst artifiziell als bekrönte Prinzessin mit leicht überheblichem Gesichtsausdruck von oben herab auf die Gläubigen blicke. Unter den Kölner Bildhauern, -schnitzern und -fassern wirkten Kunsthandwerker aus Lothringen, den Niederlanden und Böhmen, die ihre stilistischen Eigenheiten einbrachten und zu jenem unverwechselbaren Erscheinungsbild der Kölner Madonnen beitrugen, die im 14. Jahrhundert zu Tausenden hergestellt worden sein dürften. Über 100 Exemplare davon haben sich erhalten, und das, obwohl vielleicht nur etwa zwei Prozent aller damals entstandenen Bildwerke bis heute überdauert haben.
Die Geschichte der Marienverehrung wiederum berührt religionswissenschaftliche Fragen. Etwa die der „Gottesgebärerin“ (Theotokos) Maria, die seit dem Konzil von Ephesos (431) zu einer Welle ihr gewidmeter Kirchenneubauten führte. Maria stieg schnell zur beliebtesten Heiligen und zum wichtigsten Gegenstand christlicher Kunst auf. Als Himmelskönigin, Mittlerin und Mutter setzte die Volksfrömmigkeit Maria in Beziehung zu heidnischen Muttergottheiten und integrierte ihre Verehrung nach und in den Kult der älteren Gottheiten. So gruben Archäologen in Köln Weihesteine der Isis aus, die als Fundamente der Kölner Kirchen St. Gereon und St. Ursula verwendet wurden – errichtet über heidnischen Tempeln. Dieckhoff verweist darauf, dass alle Bilderfindungen der Maria auf Byzanz zurückgehen, wo freilich nach dem Bilderstreit im 9. Jahrhundert die christliche Vollplastik von der Bildfläche verschwindet. Die Ikonen und flachen Reliefs aus Marmor und Elfenbein, die als Marienbilder im Westen besonders begehrt waren, können somit den Kölner Meistern nicht als Vorbild ihrer Madonnen dienen. Die richtige Spur führt zu provinzial-römischen Sitzstatuen der Isis, die der Kölner Boden ja hergab. Die Kugel, die etwa die Goldene Madonna trägt, ist im Altertum ein Herrschaftssymbol. In der Hand Marias wird sie meist als Apfel der „neuen Eva“ gedeutet. Als „Gefäß der Gnade“ bringt Maria Gnade und Leben in die Welt, während Eva als „Gefäß der Sünde“ Tod und Verderben nach sich zieht. Diesen Bezug zur Urmutter Eva stellen auch jene Marienbilder her, auf denen die „neue Eva“ ihren Fuß auf einen Drachen setzt.
Dieckhoff streift in seinen Ausführungen auch eine Erscheinungsform spezifisch mittelalterlichen magischen Denkens: die Reliquienverehrung. Dadurch, dass etwas von dem, was die Skulptur darstellt, tatsächlich in ihr anwesend ist, soll sich eine ursprüngliche Wirkungskraft auf das leblose Bildwerk übertragen. Manche Marienfiguren waren zugleich Reliquiare, wie etwa die Ollesheimer Madonna, zwischen deren Schulterblättern in einer rechteckigen Öffnung einst Reliquien aufbewahrt wurden. Wahrscheinlich habe es sich dabei um so genannte Berührungsreliquien gehandelt, etwa ein Stoffstück ihres Gewands oder Schleiers. Dass diese Bilder und Reliquien Mariä wundertätig waren, sei Voraussetzung und Konsequenz des Bilder- und Reliquienkultes, so Dieckhoff, der schließlich auch die Frage in den Raum stellt, ob darin wirklich die heilige Maria verehrt werde oder das wundertätig geglaubte Artefakt.
„Kölner Madonnen – Bildwerke aus dem Mittelalter“,
96 Seiten, gebunden, 16,80 Euro, ISBN: 978-3-89705-595-7