Im Untergrund soll es dunkel sein, und im Dunkeln ist gut munkeln. Oder? Wie sonst erklärt sich der Ausdruck, „in den Untergrund gehen“, wenn einer sich den Staatsorganen entziehen wollte. ? Die sichtbaren Macht-Haber fürchteten den unsichtbaren Untergrund, der ja anderes im Sinn hatte als sie. In der Politik wie in der Kunst. Wieviel verstrickter und vertrackter sind hingegen die heutigen Verhältnisse. Das zeigt eine Kunst-Aktion, die vor fünfzig Jahren in Köln über die Bühne ging
Herbst 1968 in Köln. Während der zweiten Ausgabe der Kunstmesse, die noch in der Kunsthalle stattfand, wollten Kölner Künstler und Galeristen unangepasste Kunst-Positionen vorstellen. An fünf Tagen und Nächten in Rohbau der U-Hahn.
In Absprache mit dem Kulturdezernenten Kurt Hackenberg, von der Stadt genehmigt, organisierte die Film-Kunst-Produktion XSCREEN ab dem 15. Oktober in der Baustelle der U-Bahn am Neumarkt eine fünftägige Veranstaltung mit dem Titel „Underground Explosion“: Auf dem Programm standen Filme von Kenneth Anger, Lutz Mommartz, W+B Hein, Werner Nekes, Otto Muehl u.a. Es spielte die Band Noahs Arc, Rolf Dieter Brinkmann sollte lesen.
Am 15. Oktober erschien im Kölner Stadt-Anzeiger ein Artikel mit dem Titel „Jeder kann seine Filme vorführen“. Auf Filme von Otto Muehl angeprochen, die bereits in München für Furore gesorgt hatten, meinte der Beigeordnete für Recht und Sicherheit: „Was soll’s denn, da erklären wir uns nicht für zuständig… Und außerdem, wenn da auch einige umstrittene Szenen sind – man kann sich über alles streiten“. Das Programm lief erfolgreich an, rund 1000 Besucher kamen gleich am ersten Abend.
So gelassen ging es allerdings nicht weiter. In der Nacht des 16. Oktober 1968 sprengte die Polizei die Veranstaltung, beschlagnahmte 26 Filmrollen, kontrollierte Ausweise und führte Personen, die sich nicht ausweisen konnten, ab. Es kam zu tätlichen Auseinandersetzungen, Zuschauer durchbrachen die Polizeiabsperrung, wurden von Polizisten geschlagen. Grund für den Einsatz von 70 Polizisten war ein anonyme Hinweis, dem zu Folge am Vortag pornografische Filme in Anwesenheit von Jugendlichen gezeigt worden seien. Es wurde auf den § 184 (Verbreitung unzüchtiger Darstellungen) verwiesen.
„Wir haben später erfahren, dass die Aktion eine Attacke gegen den Kunstmarkt war, angezettelt von einem der einflussreichsten Kunsthändler Kölns gegen Hackenberg, den äußerst progressiven Kulturdezernenten der Stadt. Man wollte ihm durch diese Aktion schaden, weil man den Kunstmarkt als Konkurrenz für die etablierte Kölner Kunstszene ansah,“ erinnert sich Birgit Hein 2004.
Am folgenden Tag versperrten Demonstranten aus Protest gegen die Polizeiaktion den Eingang des Kunstmarktes. Die Veranstalter solidarisierten sich und schlossen für mehrere Stunden am Abend die Ausstellung. Eine andere Gruppe stürmte währenddessen das Opernhaus, die „Troubadour“-Aufführung wurde unterbrochen.
„Die herbeigeeilten Hausherren, Kulturdezernent Dr. Hackenberg und Generalintendant Dr. Drese zeigen Format und versuchen dem Publikum zu vermitteln, dass etwas vorgefallen sei, was Außenstehende veranlasst habe, in berechtigter Erregung ins Theater zu kommen. Der Opernsänger Arturo Sergi versucht im Kostüm des Manrico mit dem Megaphon Kontakt mit den Zuschauern aufzunehmen. Doch die sind nicht zu bändigen. … Es ist an diesem Abend nicht mehr zu unterscheiden, wer radikaler, intoleranter, ausfallender, rebellischer ist, die Demonstranten aus dem Untergrund oder die Opernfreunde,“ schreibt Wilfried Reichart in der Rückschau.
Ein zehnminütiger Bericht in der WDR-Sendung Hier und Heute über „Eröffnung neuer Galerien und Treffpunkt des Underground-Films“ geht vor allem ausführlich auf die Kunstszene, Galerien und den Kölner Kunstmarkt ein. Dann schwenkt die Kamera zur Baustelle zwischen Kunsthalle, VHS und Neumarkt, wo es in den Untergrund geht: Hier findet die Veranstaltung von XSCREEN statt, mit „psychodelischer Musik und oft wirren Dokumenten menschlichen Bemühens gegen die schöne Kinowelt anzurennen“, so der Kommentar.
Die Razzia am Vorabend hatte bereits stattgefunden.
Auch in den folgenden Tagen gingen die Proteste gegen die Aktion weiter: Demonstranten belagerten das Polizeipräsidium und blockierten die Kreuzung der Nord-Süd-Fahrt, der Kunstmarkt war auch am Freitag wieder für mehrere Stundengeschlossen. Der U-Bahnhof wurde von der Stadt bereits am Donnerstag aus „baupolizeilichen Gründen“ geschlossen. In einem offenen Brief an Bundesjustizminister Heinemann forderten zahlreiche Künstler, Kunsthändler und Kulturschaffende die Abschaffung des § 184. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch kritisierte in einem Brief an Polizeipräsident Hochstein die Razzia gegen die kulturelle Veranstaltung und fürchtete um das Ansehen Kölns. In den Tagen danach stellte sich heraus, dass weder ein Durchsuchungs- noch ein Beschlagnahmungsbefehl vorgelegen hatte. Der Jugendwohlfahrtsausschuss wollte mit dem Polizeipräsidenten über die Angemessenheit der Aktion sprechen. Und Kulturdezernent Hackenberg setzte sich vor dem Rat der Stadt Köln weiterhin für die Freiheit der Kunst ein. Dennoch wurde gegen XSCREEN (wegen eines Films von Otto Muehl) wegen des Verdachts der Verbreitung unzüchtiger Schriften ermittelt. Das Verfahren wurde erst im Mai 1969 eingestellt.
(Eine ausführliche und materialreiche Darstellung der damaligen Ereignisse bietet Enno Stahl in seinem Aufsatz: „“Kulturkampf“ in Köln. Die XSCREEN-AFFÄRE 1968″ in einer Publikation des Heinrich-Heine-Instituts Düsseldorf, 2007)