Das Kunstauktionswesen baut auf Glaubwürdigkeit – eine Tugend, die in unserer ökonomisierten Gesellschaft zusehens verloren geht.
„Dachboden-Fund“ – dieser Tage gewiss ein Reizwort für alle, die im Kunst-Handel und speziell im Kunstauktionswesen arbeiten. Vor Sammlern, die aus dem Nichts auftauchen und unbekannten aber viel verheißenden Sammlungen dürften sie vorerst zurückschrecken. Denn der schlimmste Fall ist eingetreten und stürzt die ganze Branche in eine Vertrauenskrise: Mittlerweile ist die Rede von an die 100 höchstwahrscheinlich gefälschten Kunstwerke aus der Phantom-Sammlung Jägers. Sie gelangten in den vergangenen 15 Jahren auf den Kunstmarkt. Die Folgen des jüngsten Skandals sind noch nicht absehbar, denn Vertrauen und Verantwortung, zwei zentrale Begriffe, auf denen das gesamte Auktionswesen baut, lassen sich nicht einfach aus dem Hut zaubern. Auktionshäuser leben von ihrer über Generationen erarbeiteten Seriosität, die in einem gewachsenen Netzwerk von Kunsthändlern und -sammlern, Kunstexperten und -historikern wurzelt. Selbst auferlegte Prinzipien, verankert im „International Code of Ethics“ (C.I.N.O.A.) und im Verhaltenskodex für den Bundesverband Deutscher Kunstversteigerer (BDK), lassen daran keinen Zweifel. In Ziffer 8 verpflichten sich Auktionatoren dazu, Verdachtsmomenten im Hinblick auf eine dubiose „Genealogie“ der zu versteigernden Objekte nachzugehen. Was aber, wenn gar kein Verdacht aufkommt, weil die Betrüger sich ganz selbstverständlich in der Kunstmarkt-Szene bewegen? Wenn sie das gesamte System an der Nase herum führen? Wenn zudem der Geldwert eines Kunstwerks höher geschätzt wird als sein ästhetischer? Der richtige Zeitpunkt also, Akteure und Strukturen des Auktionswesen unter die Lupe nehmen.
Die 36 führenden Auktionshäuser sind im Bund Deutscher Kunstversteigerer organisiert. In der Regel finden in jedem Aktionshaus jährlich zwei Hauptaktionen – Frühjahr und Herbst – statt.
Die Einlieferer und die Käufer:
Es gibt so viele Menschen, die Kunst sammeln, wie noch nie. Seit den 1960er Jahren ist ihre Zahl rasant gestiegen. Gerade treten die Nachfahren dieser Generation von Privatsammlern ihr Erbe an, vielfach ohne deren Leidenschaft für die lebenslang angehäuften Artefakte zu teilen. Wohl aber interessiert an deren Geldwert, den sie bevorzugt in Auktionen erlösen wollen. Der Einlieferer verpflichtet sich vertraglich, für Mängel an der eingelieferten Ware einzustehen. Das ist auch der Fall, wenn eine Fälschung nachgewiesen wird. Der Auktionator nimmt dann das gefälschte Kunstwerk vom Käufer zurück, erstattet diesem die Kaufsumme und offeriert seine Forderungen dem Einlieferer. Schadensersatzklagen in ungeahntem Ausmaß drohen also im Fall Jägers die Gerichte zu überziehen.
Zunehmend kommen hierzulande ganze Kunstsammlungen oder Hauptwerke daraus zur Auktion und verschwinden oftmals auf Nimmerwiedersehen aus der Öffentlichkeit. Beispielsweise trennt sich das Sammlermuseum Weserburg Bremen von Gerhard Richters Gemälde „Matrosen“ (1966), das auf der New Yorker November-Auktion von Sotheby’s geschätzte vier bis sechs Millionen Dollar einbringen soll. Gleichzeitig ist ein wachsender Verlust an Kennerschaft und kunsthistorischen Wissens auf Seiten der Einlieferer wie der Käufer festzustellen.
Die Experten:
Max Friedländer wusste vom „blinden Fleck der Kennerschaft, der erst nachträglich zum Vorschein kommt“, und beschreibt so jenen Moment, in dem der Experte seiner eigenen Voreingenommenheit aufsitzt. Sein übersemiotisierter Blick ist möglicherweise zu verstrickt mit seiner eigenen Leidenschaft für das Kunstwerk und speziellen Kenntnissen als dass er die für eine objektive kunsthistorische Analyse nötige Distanz wahren könnte. Nur so lassen sich etwa Werner Spiess’ Zuschreibungen verstehen. Der Experte und Verfasser des Werkverzeichnisses von Max Ernst ordnete diesem Künstler vermutlich sieben Bilder zu, die jetzt unter dem Verdacht stehen, gefälscht zu sein. Spiess hält an seinem Urteil fest, obwohl die Zweifel übermächtig werden. Zu fürchten hat er jedoch nur die Beschädigung seines gutes Rufs, da nach deutschem Recht – im Gegensatz zum französischen – Sachverständige für ihre Fehleinschätzungen nicht haften.
Die Provenienzforscher:
Die Kunsthistoriker sind im Auktionshaus angestellt oder arbeiten selbständig. Sie sichten Nachlässe, besuchen Archive, lesen Künstlerkorrespondenzen, studieren Galerieverzeichnisse und Kataloge, um beispielsweise Hinweise auf eine „Sammlung Jägers“ zu finden. Aus der Praxis sind ihnen die Vorgehensweisen der Fälscher geläufig, die gern bei den weißen Flecken in der Entstehungsgeschichte eines Gesamtwerkes ansetzen. Deshalb werden Provenienzforscher hellhörig, wenn Werkkomplexe in einer unübersichtliche Lage angesiedelt sind: Die etwa von den Nazis als entartet gebrandmarkt und eingezogen wurden. Die in Listen ehemaliger Sammlungen erfasst sind, aber – etwa bei der Enteignung jüdischer Kunsthändler wie Alfred Flechtheim – aus der Öffentlichkeit verschwanden und als verschollen gelten. Die Überreste eines Atelierbrandes sein sollen. Auch die Unterschiede zwischen Früh- und Spätwerk haben sie zu problematisieren. Aya Soika und Ralph Jentsch trauten im Fall Jägers ihren Augen und ihrem Wissen und entlarvten höchstwahrscheinlich Fälschungen: Jentsch konnte ausschließen, dass es den verwendeten Aufkleber der Flechtheim-Sammlung je gegeben hatte. Soika entdeckte die interpretatorische Eigenmächtigkeit des Fälschers, der auf einem vermeintlichen Gemälde Max Pechsteins anstelle eines Kirchturms eine Rauchwolke gemalt hatte. Zu viele prominente Aufkleber auf einer Reihe unbedeutender Bilder machten sie zudem stutzig. Mehrere der umstrittenen Bilder vermeintlich unterschiedlicher Herkunft wurden nebeneinander gelegt, und siehe da, ihre Rahmen und Rückseiten waren nahezu identisch. Was nur bedeuten kann, dass alle Bilder echt oder alle falsch sind. Gewissheit geben letztlich die noch laufenden wissenschaftlichen Analysen, die das Alter von Leinwand, Papier, Farbpigmenten und Leim prüfen. Dazu finden stereomikroskopische Tests unter sechs- bis 40-facher Vergrößerung statt. Wenn nötig, werden Rot- und Infrarotfilter sowie Ultraviolettstrahlen eingesetzt, Graphologen untersuchen die Signatur.
Der schnöde Mammon:
Mit Kunst lässt sich viel Geld machen. Das Auktionshaus Sotheby’s etwa wies im ersten Halbjahr 2010 sensationelle 84,1 Millionen Netto-Gewinn aus. Zumal in Zeiten schwankender Kurse rücken Kunstwerke als sichere Geldanlage ins Blickfeld von immer mehr Leuten, die nur aus pekuniären Erwägungen sammeln. Vom Versteigerungserlös erhält der Versteigerer 25 Prozent Kommission. Rund eine halbe Million Euro kostet es, eine Auktion kurzfristig abzusagen, so Henrik Hanstein, der Inhaber des traditionsreichen Kölner Auktionshauses Lempertz. Das erklärt möglicherweise, warum etwa das Londoner Auktionshaus Christie’s 2005 an der Versteigerung der sogenannten Anderson Collection festhielt, obgleich der Kölner Kunsthistoriker Herbert Molderings seine Zweifel an der Provenienz vorgebracht hatte, der sich später bestätigte.
Die juristische Seite: Der Auktionator kann seine eigene Haftung für Sachmängel (§ 434 BGB) – wozu insbesondere die fehlende Echtheit eines Kunstwerks gehört – gegenüber dem Erwerber in seinen Versteigerungsbedingungen vertraglich ausschließen, soweit er die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten erfüllt hat (BGHZ 63, 369 „Jawlensky; BGH NJW 80, 1619 „Bodensee-Auktion“). „Nicht überspannt“ werden dürften laut BDK-Verhaltenskodex diese Sorgfaltspflichten: Detaillierte Provenienzforschung sei in der „Fülle und Disparität“ der zur Versteigerung kommenden Sachen nur dann angesagt, wenn „Anhaltspunkte des Zweifels und Verdachts“ aufträten.
Die kriminalistische Seite:
Einen Straftatbestand „Kunstfälschung“ gibt es nicht. Dennoch lagern in den Asservatenkammern deutscher Landeskriminalämter Kunstfälschungen zu Hunderten. Aktuelle Ermittlungen im Fall Jägers laufen wegen gewerbsmäßigen, bandenmäßigen Betrugs. Mittlerweile sollen die ermittelnden Behörden von 30 Fälschungen ein und derselben Quelle ausgehen. Da es an Kunst kundigen Kriminalbeamten mangelt, werden bei einem Fälschungsverdacht in der Regel auch Experten zu Rate gezogen. Und die Kripo ermittelt auch, ob der Auktionator Sorgfaltspflichten in einem Maße verletzt hat, das dessen Haftungsausschluss ungültig werden lässt. Ist das nämlich der Fall, so müssen Provisionen und im schlimmsten Fall der gesamte Verkaufserlös zurückgezahlt werden.
Unter den eingelieferten Antiquitäten und Kunstwerken wurden bei Lempertz in den letzten fünf Jahren 60 Fälschungen im Vorfeld von Auktionen entdeckt. Aber selbst dieses eine Promille ist zu viel, denn der Imageschaden wiegt um ein Vielfaches schwerer. Künftig sollten Auktionatoren mehr Zeit für gründliche Nachforschungen und umfassendere Gutachten einräumen. Bezahlen lassen die sich von den ansehnlichen Provisionen allemal.