Haus Lawaczeck in Kerken-Nieukerk
Tik-tak, tik-tak, tik-tak. Der Regulator an der Wand lässt den Rhythmus der unaufhaltsam fortschreitenden Zeit hören, das Interieur aber scheint ihn Lügen zu strafen: Der Tisch ist gedeckt, auf einer schönen Tischdecke schimmert das Silberbesteck, das Porzellan besticht mit verschlungenen Pflanzenornamente, die schon lange nicht mehr üblich sind. Der Armstuhl ist ein wenig vom Tisch abgerückt, so als sei gerade einer aufgestanden und zur Tür hinaus gegangen. Die Zeit steht still im Salon des Hauses Lawaczeck. Doch der Schein trügt. Hinter der rosafarbenen Fassade des spätklassizistischen Gebäudes herrscht lebendiges Treiben. 2001 hat der Historische Verein für Geldern und Umgebung das Haus von den Erben übernommen.
Im ersten Stockwerk entstand ein neuer Veranstaltungsraum, andere Zimmer sind mit dem ursprünglichen Mobiliar erhalten. So vollendete sich die Geschichte jenes in seiner Zeit prächtigen Baus am nördlichen Ortsrand von Nieukerk, der 1859 von Bürgermeister Pohl errichtet, vier Jahre später in den Besitz von Hermann Lawaczeck kam. Fast 150 Jahre vom großbürgerlichen Familiensitz zum Treffpunkt für kulturinteressierte Menschen.
Die Lawaszecks waren im 17. Jahrhundet von Schwaben nach ins böhmische Leitmeritz ausgewandert und von dort mit angepasstem tschechischem Familiennamen über Oberhausen Anfang des 19. Jahrhunderts an den linken Niederrhein gekommen. Drei Brüder gründeten in Kevelaer, Wachtendonk und Nieukerk Färbereien. Ansässige Heimweber dürften die Standortwahl für Nieukerk beeinflusst haben. Vom ursprünglichen Blaudruck aus entwickelte sich bald ein blühender Handel mit „Blaumännern“, Arbeitskleidung für die Landbevölkerung, sowie Bett- und Tischwäsche. Bis 1912 Indanthren eingeführt wurde, kam die Blaufärbepflanze Waid zum Einsatz.
Wie in der Phase der Frühindustrialisierung üblich, war auch der Firmenkontor im rückwärtigen Teil des Wohnhauses untergebracht: Die Zentraluhr erinnert noch heute daran, dass hier einmal die Lieferanten- und Kundengespräche stattfanden. Vorne im Foyer grüßen imposante Geweihe von den Wänden, und auch den Salon beherrscht die Jagd, in Gemälden von Alfred Mailick. Das Herrenzimmer ist eingerichtet wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im einstigen Frühstücksraum im 1. Stock wird heute das Jugendstil-Mobiliar des Damenzimmers gezeigt
Das Konzept des Historischen Vereins verquickt historische Momente mit aktuellen Kulturaktivitäten. Als die letzte Firmeninhaberin Huberta Becker-Lawaczeck 1998 verstarb, willigten ihre Erben gern ein, das Haus der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Durch die Umstrukturierung zu einem Museum konnte das Gebäude zum einen mit seinem historischen Mobiliar erhalten werden. Zum anderen ist es durch die regelmäßige Nutzung Bürger-Zentrum. Etwa wenn Ausstellungen im neu geschaffenen großen Raum in der ersten Etage stattfinden. Themen aus Kunst, Kultur und Geschichte des Niederrhein und der angrenzenden Niederlande sind hier angesagt. Konzerte, Vorträge und Workshops beleben die Räume; Arbeitsgruppen kommen zusammen. Das Jahresprogramm des Historischen Vereins hat nicht nur für seine 1500 Mitglieder einiges zu bieten.
INFO Haus Lawaczeck, Krefelder Straße 35, Kerken-Nieukerk, Öffnungszeiten: Sa., 14 bis 17 Uhr, So., 11 bis 17 Uhr, So., 11 bis 17 Uhr; Ruf 02831-391111; das aktuelle Programm unter www.hv-geldern.de