Reset beim Moers Festival 2017

Moersfestival 2017, Anthony Braxton ZIM Sextett

Anthony Braxton – stehend bejubelten die Zuhörer den Altmeister noch ehe er seinem Saxophon einen Laut entlockt hatte. Sein Auftritt beim Moersfestival war auch eine tiefe Verneigung des neuen künstlerischen Leiters und Musikers Tim Isfort vor dem Künstler, der so viel angestoßen hat in Zeiten, als der Jazz erneuert werden musst und sich als New Jazz aufmachte. Der Musiker Braxton und der Begründer des New-Jazz-Festivals Moers, Burkhard Hennen verband vieles, und Braxton war von Anfang an ein wesentliches Element innerhalb dieses Festivals, das wuchs und wuchs – bis zum Reset, das vor fünf Monaten erfolgte. Gründerzeit-Geist beflügelte Tim Isfort, den neuen künstlerischen Leiter, und Claus Arndt, den Geschäftsführer, und beider Enthusiasmus steckte viele an, die mit anpackten. Gemeinsam stemmten sie in einem schier unmöglich erscheinendem Zeitraum von fünf Monaten ein modifiziertes Moersfestival aus der Taufe zu heben.

Tim Isfort versichert sich der künstlerischen Anfänge des Festivals und beschwört damit den Pioniergeist des Ursprungs. In seinem Vier-Tage-Programm stellte er Musiker vor, die der eigenen Intuition folgend, Unerhörtes hervorbringen. Bei Braxton ging mir ein Licht auf: Im wuchtigen Auftakt des Sextetts fühlte ich mich für Sekunden zurückversetzt in die Zeit, als diese Musik noch verstörend neu war. Während ich der Musik lauschte, rückte sie in einen goldenen Rahmen, und ich wusste, dass ich da allerfeinste New-Jazz-Klassik hörte! Einzigartig die Virtuosität Braxtons, die ihm hilft, so lange schon immer neue ureigene Klänge und Töne zu spielen mit seinem Instrument, das zu seinem Körper zu gehören scheint. Ein eigenartig-einzigartiger Klangkosmos zwischen Atem und Donner.

Dub Trio

Wie beglückend ist es, als das Dub Trio seine Zuhörer mitnimmt in sein Klanglabor auf der Bühne und uns teilhaben lässt an seinen Untersuchungen im Inneren der Musik. Die drei Musiker hören der Länge eines Tons nach, sie führen uns den Rhythmus in Nahaufnahmen vor und locken uns in Tonfolgen, die sich in Endlosketten ergehen. Zum Geheul der Verstärker hämmert das Schlagzeug, und das Keyboard faucht. So vergeht das Hören und entsteht immer aufs Neue.

Swans

Tja, und um Mitternacht die Swans – Herz-Schlag, innerster Rhythmus unseres Lebens . . und sobald die „Schwäne“ ihre Instrumente an den elektrischen Strom angeschlossen haben, klopft irgendwo in unvorstellbarer kosmischen Ferne unentwegt ein anderes Schlag-Werk, das sich in unseren Ohren synchronisiert mit unserem Herzschlag. Gitarren, Bass, Keyboard und Schlagzeug erzeugen eine Klaglandschaft, in dem sich das Getöse im menschlichen Körper mit einem Grundrauchen verbindet. Zusehens verdichtet sich der Klang, türmt sich auf zu massiven Gebirgen. Unerbittlich treiben die Musiker-Maschinisten mit ihren elektrifizierten petschenden Klanggebilden uns Zuhörern alles aus, was uns einkapselt in uns bis hin zu silberner Ohnmacht.

Elew

Der amerikanische Pianist Elew romantisiert den zeitgenössischen Jazz. Er scheut nicht die Berührung mit Jazz-Standard, weil er einfach alles kann, spielt er es auch. Und er weiß um seine Virtuosität und bisweilen scheint er seiner Begabung übertrüssig zu sein und baut Widerstände ein, bricht den schönen Klang mit kleinen unpassenden Zwischentönen, zertrümmert allzu stimmige Harmonien in ironischen Paraphrasen und maßlosen Übertreibungen. Er wirft sich in die Tasten, dass es nur so brummt und man ums Piano fürchtet und entlockt ihm im nächsten Augenblick silberhellstes Zirpen. Er spielt im Stehen, er spielt mit dem Instrument und auf ihm. Er greift in das Piano-Innere, klopft darauf herum und scheint hineinkriechen zu wollen ins Innere des Klangs, der im Bauch des Klaviers entsteht: Den Ton anschlagen auf der Tast und gleichzeitig selbst der Klang sein. In seinen Grimassen und Zuckungen offenbart sich selbstvergessene Innerlichkeit, denn er öffnet sich, und alle Kunstfertigkeit strömt aus ihm heraus und fährt ihm in die Finger, auf die er hin und wieder kurz schaut, als wisse er nicht, was sie da auf den Tasten tanzen lässt. Es spielt aus ihn heraus: virtuos, wuchtig. Als Avantgardist im Jahr 2017 kennt er Beethoven und die Klassik ebenso wie die Götter des Jazz und New Jazz und die Minimal Music, und endlich darf alles nebeneinander bestehen, ohne ideologische Bedenken, ohne Tabu und Glaubenskrieg. Alles paart sich mit allem und wiederholt sich in langen Schleifen bis zum Dilirium.

 

 

 

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