Unverbundenes und Krampf

Fresko

Wo meine beiden einander unbekannten Personen im Film rücklings aufeinanderprallen, knallt es in meinem Kopf wie zwei aufeinander schlagende Topfdeckel: Diese inszenatorische Verrenkung führt mir heute vor Augen, dass ich das Unverbundene nicht stehen lassen konnte, sondern herkömmlichen Erzählformen gehorchen wollte. Diese absurde Szene ist leicht herauszunehmen aus der Bilderfolge. Ich erlaube mir, meine grobe / glatte Erzählstruktur aufzusplittern in kubistischer Weise, wie Pierre Reverdy es in seinen Gedichten tut, die mich, damals erstmals ins Deutsche übertragen, in einem Lettre-Heft begeistert hatten. Reverdys Poeme feiern die Idee der „profanen Erleuchtung“ (Walter Benjamin), der sich die Surrealisten verschrieben hatten. Wahrnehmungspartikel, Assoziationen, Reflexe, die jeder Betrachter in seiner individuellen Weise zusammensetzen soll. Noch habe ich nicht entschieden, welche der aus dem Off gesprochen Gedichte ich behalten werde. Den ausgetretenen Featurefilm-Pfaden werde ich nicht mehr folgen, sondern meinen eigenen Bildern und Gespinsten. Digitale Bildbearbeitungsprogrammene erleichtern mir diese spannende Arbeit.

Übrigens kam Pierre Reverdy 1889 auf die Welt, auf halber Strecke zwischen der Revolution / Errichtung des Schlosses Wolfskuhlen, und unseren Dreharbeiten. Mit Zahlenmagie spiele ich nur gelegentlich . . . .

 

Hier eine Leseprobe:

Gedächtnis / Mémoires

Kaum eine Minute
Und ich bin wieder da
Keinen Schimmer mehr von allem was geschah
Ein Punkt
Der größre Himmel
Und im letzten Augenblick
Die Laterne, die vorüberging
Der Schritt, den man vernahm
Zwischen all dem Rennen hält einer an
Die Welt kann ruhig weiterziehn
Und was sie zuinnerst hält
Die tanzenden Lichter
Und der Schatten, der sich dehnt
Es gibt mehr Raum
Blickt man vor sich hin
Ein Käfig, in dem ein lebendes Tier sich überschlägt
Brust und Arme vollführen den selben Akt
Eine Frau lachte
Beim Drehen ihres Kopfs
Und jener, welcher kam, hatte uns verwechselt
Wir waren zu dritt ohne uns zu kennen
Und bildeten doch schon
Eine hoffnungsvolle Welt

Aus dem Französischen von Jan Volker Röhnert

Une minute à peine
Et je suis revenu
De tout ce qui passait je n’ai rien retenu
Un point
Le ciel grandi
Et au dernier moment
La lanterne qui passe
Le pas que l’on entend
Quelqu’un s’arrête entre tout ce qui marche
On laisse aller le monde
Et ce qu’il y a dedans
Les lumières qui dansent
Et l’ombre qui s’étend
Il y a plus d’espace
En regardant devant
Une cage où bondit un animal vivant
La poitrine et les bras faisaient la même geste
Une femme riait
En renversant la tête
Et celui qui venait nous avait confondus
Nous étions tous les trois sans nous connaître
Et nous formions déjà
Un monde plein d’espoir

(Pierre Reverdy: „Plupart du Temps“)

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