Marat liegt tot in der Wanne auf dem berühmten Gemälde von Jacques-Louis David aus dem Jahr 1793 Viele Köpfe mussten rollen, um der Revolution willen, deren Räder schon bald wieder zurückrollten in die Restauration. Ein Druck des Gemäldes hing jahrelang an der Wand eines Freundes, der politisch und romantisch war wie viele Kommilitoninnen und Kommilitonen. Mit dem Eintritt ins Berufsleben verschwanden so manches Wünschen und Sehnen im persönlichen Untergrund. Erlebnisse, wie die Besichtigung von Wolfskuhlen rufen sie wieder auf, für kurze Zeit. Das weiß ich heute aus der Distanz von drei Jahrzehnten.
Den Dialogpassagen nach Peter Weiss’ Stück galt heute meine Aufmerksamkeit. Obwohl ich sie fast auswendig mitsprechen kann, war mir wichtig, die Haltungen der Kontrahenten Rupert Seidl / de Sade und Esther Straimer /Marat genauer zu betrachten.
Über Gott und die Welt lässt sich nämlich trefflich plaudern, für ein Streitgespräch aber bedarf es anderer Munition. Als es beim Drehbuchschreiben darum ging, dem Nachdenken über jene Ruine eines herrschaftlichen Gebäudes, eine Sprache zu geben, bot sich Peter Weiss’ Stück Marat/Sade geradezu an: Der Autor konfrontiert unter Verwendung von de Sade-Texten Aussagen über die äußerste menschliche Freiheit im Privaten und solche äußerster politischer Freiheit. Zeugte nicht die Schloss-Ruine Wolfskuhlen von ungebrochenem Herrschaftsanspruch und Beharrungsvermögen der Landadeligen, denen die Vorkommnisse in Paris nicht verborgen geblieben sein dürften. Nur gut vierhundert Kilometer entfernt vom Niederrhein hieß die Losung „Liberté, fraternité, égalité. Aber alles endete in einer Rolle rückwärts . .
Peter Weiss brachte sein Stück 1964 heraus und stieß auf größte Ablehnung und Zustimmung. 1989 war es der einzig richtige Text für mein Anliegen. 2019 ist es’s noch immer, aber die Poesie erhält in der neuen Fassung genau soviel Spielraum.