Rupprecht Geigers Düsseldorfer Jahre
Oh, young art!“, staunte Star-Architekt I.M. Pei vor den großformatigen Farbfriesen im Berliner Reichstagsgebäude. Welches Kompliment für deren Schöpfer Rupprecht Geiger! Er hat immer unbekanntes Terrain erkundet. Hat die Grenzen überschritten: vom Konkreten zum Abstrakten, vom Pigment zum Lebens-Element (wie Wasser, Erde), von der Farbe zum Raum, von der Malerei zur Sprache. Der Meister verstarb hochbetagt. Seine Kunst altert nicht.
Als ihn im November 1964 der Ruf an die Kunstakademie Düsseldorf erreicht, steht seine künstlerische Arbeit hoch im Kurs. Er ist überall dabei, wo junge Kunst gezeigt wird und findet im In- und Ausland starke Beachtung. „Er spricht nicht zu seiner Generation, sondern zu der nächsten und übernächsten, zu denen die 25 bis 35 Jahre jünger sind als er“, konstatiert sein Freund und Förderer John Anthony Thwaites. Am 28. März 1965 stirbt Ewald Mataré, acht Monate später lässt sein Schüler Josef Beuys mit der Düsseldorfer Aktion „Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt“ nicht nur die Kunstwelt aufhorchen.
Zu Beginn des Sommersemesters 1966 berichten die Düsseldorfer Hefte über den Künstler und neuen KA-Professor. Der Chronist will von Geiger wissen, wie dem kunstverwöhnten Münchener das Rheinland gefällt. Der Neudüsseldorfer lobt die Dichte von Galerien in Stadt und Land am Niederrhein. Die „Großstadtluft“ behagt ihm, kann er doch in den Semesterferien die ländliche Ruhes seines oberbayerischen Domizils genießen. Von seiner Düsseldorfer Wohnung in einem Haus des Architekten und KA-Kollegen Karl Wimmenauer am Kaiser-Wilhelm-Ring in Oberkassel hat er einen schönen Blick auf den Rhein.
Im Herbst 1966 machte die „Edition Kaufhof“ von sich reden: „abstoßend und absurd“ urteilte Otto Normalverbraucher über die Arbeiten. Die limitierte und signierte Originalgrafik in einer Auflage von jeweils 55 Exemplaren präsentierte Arbeiten von 32 deutschen Künstlern. Rupprecht Geiger war neben Antes und Quinte mit drei farbigen Siebdrucken vertreten; im Kaufhof Düsseldorf wurde dazu die Ausstellung „Kunst im Kaufhaus“gezeigt. In der damals neu errichteten Kunsthalle präsentierte ihr Direktor Karl Ruhrberg im Sommer 1967 eine Ausstellung mit 54 Gemälden und 18 Graphitzeichnungen von Rupprecht Geiger, die von der Kestner-Gesellschaft Hannover übernommen wurde.
Ein Chronist bezeichnet die Bilder als herausfordernd und schlägt als Motto „Leuchtrot“ vor. Ein anderer schildert Farbe, die in Schwingungen gerät und zu vibrieren beginnt. Der Kunstkritiker und Galerist Hans Strelow rückt Geiger nicht nur in die Nähe des großen amerikanischen Malers Mark Rothko und des berühmten Franzosen Yves Klein sondern sieht ihn auch den jungen Künstlern der ABC-Art verwandt. Er attestiert Geiger „eine schrittweise Fortführung der Malerei mit dem Ziel des reinen Farbraums im Sinne der Theorien der früheren Abstrakten.“ Für Thwaites sind die zwei Meter mal vier Meter hohen Farbtafeln in Shocking Pink „der Strom und Fluß der Zeit“, der in Geigers fluktuierende Farben eingegangen sei. Und: „Das, was weder er noch sonst einer bauen kann, baut er mit Licht.“
„Unter den Professoren war Geiger eher ein Einzelgänger“, erzählt die Künstlerin Gisela Rietta Fritschi, die im Wintersemester 1967/68 und Sommersemester 1968 zu seinen Meisterschülerinnen zählte. In den Treffpunkten der Studenten-Cliquen „Zur Uel“, „Bobby“ und „Ratinger Hof“ ließ sich Geiger selten sehen. In der „wilden Zeit“ der Studentenrevolte beteiligte er sich ihrer Erinnerung nach nicht an politischen Aktionen seiner KA-Kollegen. Auf einmal stand ja die Frage nach der gesellschaftlichen Aufgabe von Kunst – Autonomie oder Engagement – wieder im Raum, die etwa der Kulturkritiker Hans Sedlmayr so beschieden hatten, dass Kunst moralische, ethische und religiöse Werte vermitteln müsse. Schon im Kreise der Nachkriegsavantgarde hatte sich Geiger dagegen verwahrt, und angesichts der Studentenunruhen klang ihm wohl – selbst unter veränderten Vorzeichen – noch sein alter Appell im Ohr: Keine Instrumentalisierung der Kunst für politische und weltanschauliche Ziele! „Unter den Studenten erfreute sich Professor Geiger großer Beliebtheit,“ berichtet Fritschi. Studienreisen führten die Meisterklasse Geiger nach Paris, wo sie mit den Künstlern Victor Vasarely und Pierre Soulages in ihren Ateliers diskutierten, und zur Martin School London. Das starre Klassensystem an der Kunstakademie öffnete sich allmählich, auch Studenten, die zur Norbert-Kricke-Klasse gehörten, beteiligten sich an Arbeitsferien, zu denen Geiger in sein uraltes Bauernhaus „Bax“ am Chiemsee einlud.
Im Sommer 1969 lud Dr. von Kalnein, der Direktor des Hetjens-Museum, 22 Künstler ein, ihre persönlichen Sammlungen in seinem Haus zu zeigen. Rupprecht Geiger präsentierte Farbtöpfen in glühenden Rottönen, Knochen, Steine und Zettel mit Telefonkritzeleien. Im Januar 1970 öffnete die Reihe „Studio Rheinland“ im Landesmuseum Bonn seine Pforten für Geiger und seine Schüler Ulla Grigat, Eberhard Kranemann, Gunter Lorenz und Ingrid Schreiber. Gemäß des Professors Maxime – „Man kann keine Künstler züchten. Ich möchte nur jedem jungen Menschen auf seine Spur, jedem zu seiner Art der Verwirklichung helfen“– waren ganz individuelle künstlerische Handschriften zu besichtigen.
Im besten Sinne populär machte Geiger in jener Zeit seine reiche druckgraphische Produktion, die im Juni 1972 in der Edition der vollständigen Sammlung seiner Druckgraphik von 1948 bis 1972 im Düsseldorfer Art Press Verlag gipfelte. Der Band in einer limitierten Auflage von 1200 Exemplaren nannte 170 Nummern! Wer einen Band erwarb, bekam einen handsignierten Siebdruck des Meisters als Geschenk. In der Landeshauptstadt trat Geiger erst 1975 wieder mit einer Einzelausstellung hervor, die ihm die Galerie Denise René / Hans Meyer ausrichtete. „Eine erfrischend schöne Ausstellung“ fand Helga Meister und freute sich an den „zarten Valeurs trotz immanenter Farb-Dramatik.“ Im gleichen Jahr widmet sie ihm einen längeren Text, in dem sie ihn als „Sonnenbändiger“ tituliert. Das energiegeladene „Geigerrot“, in dem er seine „kosmischen Hymnen“ anstimme, habe alles Natürliche längst hinter sich gelassen.
Zu Rupprecht Geigers Abschied von Düsseldorf am Ende des Wintersemesters 1975/ 76 richteten ihm seine Schüler ein „Fest in Rot“ aus, und jeder Gast brachte dem scheidenden Künstler ein rotes Geschenk mit. Mit einer Ausstellung seiner Graphik in der Kunsthalle würdigte man Im März den außerordentlich beliebten Künstler und Akademielehrer. Und auch zum Abschied überraschte der Künstler: Amine Haase ist in ihrem Bericht erstaunt über „die dunkle, stahlgraue, metallene Ausstrahlung“ seiner selten gezeigten Graphit-Zeichnungen und bringt Geigers künstlerische Arbeit auf den Nenner: „Die Welt der beschreibbaren Form und die der Gedanken-Versenkung verschmelzen.“ 1979 ernannte die Kunstakademie Düsseldorf Geiger zu ihrem Ehrenmitglied, in keinem Düsseldorfer Museum hängt indes ein Bild von ihm.