Das Städel Museum Frankfurt zeigt derzeit die große Sonderausstellung „Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst“. Erstmals widmet sich damit eine Ausstellung in Deutschland der dunklen Seite der Romantik und ihrer Fortführung im Symbolismus und Surrealismus. Anhand von mehr als 200 Gemälden, Skulpturen, Grafiken, Fotografien und Filmen spürt die umfangreiche Schau im Ausstellungshaus des Museums der Faszination zahlreicher Künstler für das Abgründige, Geheimnisvolle und Böse nach. Aufbauend auf dem eigenen Sammlungsbestand, der mit Werken von Francisco de Goya, Eugène Delacroix, Franz von Stuck oder Max Ernst wichtige Arbeiten zur Thematik versammelt, präsentiert die Sonderausstellung im Städel bedeutende Leihgaben aus international renommierten Sammlungen wie dem Pariser Musée d’Orsay, dem Musée du Louvre, dem Museo del Prado in Madrid oder dem Art Institute of Chicago. In den ausgestellten Werken von Goya, Johann Heinrich Füssli und William Blake sowie Théodore Géricault und Delacroix bis hin zu Caspar David Friedrich zeichnet sich eine romantische Geisteshaltung ab, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ganz Europa erfasste und bis ins 20. Jahrhundert hinein bei Künstlern wie Salvador Dalí, René Magritte oder Paul Klee und Max Ernst ihre unmittelbare Fortsetzung fand. Die Arbeiten erzählen eindringlich von Einsamkeit und Melancholie, von Leidenschaft und Tod, von der Faszination des Grauens und dem Irrationalen der Träume. Die vom Städel Museum konzipierte Ausstellung wird nach ihrer Präsentation in Frankfurt im Pariser Musée d’Orsay zu sehen sein.
Die Ausstellung wird realisiert auf Initiative des Kulturfonds Frankfurt RheinMain im Rahmen seines Schwerpunktprojekts „Impuls Romantik“ und unterstützt von der Stadt Frankfurt am Main.
Mit einem sowohl geografisch als auch zeitlich übergreifenden Ansatz, der Bezüge zwischen verschiedenen romantischen Zentren darlegt und komplexe ikonografische Entwicklungen vor Augen führt, will die Ausstellung das Interesse für die düsteren
Aspekte der Romantik wecken und damit zu einem erweiterten Verständnis dieser Bewegung anregen. Viele der präsentierten künstlerischen Entwicklungen und Positionen resultieren aus einem erschütterten Vertrauen in ein aufgeklärtes, fortschrittliches Denken, das sich rasch nach der – als neues Zeitalter gefeierten – Französischen Revolution zum Ende des 18. Jahrhunderts ausgebreitet hat. Blutiger Terror und Kriege brachten Leid und den Zerfall gesellschaftlicher Ordnungen in weiten Teilen Europas. So groß die anfängliche Begeisterung war, so groß war auch die anschließende Enttäuschung, als sich die düsteren Facetten der Aufklärung in all ihrer Härte offenbarten. Nun widmeten sich junge Literaten und Künstler verstärkt der Kehrseite der Vernunft. Das Schreckliche, das Wundersame und Groteske machten dem Schönen und Makellosen die Vorherrschaft streitig. Der Reiz der Beschäftigung mit Sagen und Märchen und die Faszination für das Mittelalter traten dem Ideal der Antike gegenüber. Auch die heimische Natur gewann verstärkt an Anziehungskraft und wurde zum beliebten Motiv der Künstler. Dem hellen Licht des Tages begegneten der Nebel und die dunkle, geheimnisvolle Nacht.
Den Auftakt der in sieben Kapitel gegliederten Ausstellung gibt eine Gruppe bedeutender Gemälde von Johann Heinrich Füssli. Der zunächst in der Schweiz als evangelischer Prediger ausgebildete Künstler schuf mit seinem viel zitierten Gemälde Der Nachtmahr (Frankfurter Goethe-Museum) das Sinnbild der schwarzen Romantik. Dieses Werk bildet den Beginn der Präsentation, die sich über zwei Etagen des Städel-Ausstellungshauses erstreckt. Dass die Szene in der Gegenwart angesiedelt, aber durch den gnomenhaften Incubus (Dämon) und das lüsterne Pferd auch mit Elementen aus dem Volksglauben angereichert war, irritierte Füsslis Zeitgenossen zutiefst. Zudem bedienten der erotisch-triebhafte und dämonische Gehalt sowie die beklemmende Atmosphäre den Voyeurismus. Auch die sechs weiteren vertretenen Füssli-Gemälde – Leihgaben aus dem Kunsthaus Zürich, der Royal Academy London und der Staatsgalerie Stuttgart – zeigen die typischen Merkmale seiner Kunst: Stets geht es um den Wettstreit von Gut und Böse, Leiden und Lust, Licht und Finsternis. Füsslis innovative Bildsprache beeinflusste eine Vielzahl von Künstlern – darunter William Blake, dessen berühmtes Aquarell Der große rote Drache aus dem Brooklyn Museum seit über zehn Jahren erstmals wieder in Europa gezeigt wird.
Der zweite Saal der Ausstellung ist dem spanischen Künstler Francisco de Goya gewidmet, von dem das Städel sechs Gemälde präsentieren kann – darunter Meisterwerke wie Der Flug der Hexen aus dem Madrider Prado und die Kannibalen- Darstellungen aus Besançon. Hinzu kommt eine umfangreiche Gruppe von Papierarbeiten aus dem eigenen Bestand. In den Werken des Spaniers ist die Nahtlinie zwischen Realem und Imaginärem verwischt. Immer wieder tauschen Täter und Opfer ihre Rollen. Gut und Böse, Sinn und Unsinn – vieles bleibt rätselhaft. Goyas abgründige Bildwelten beeinflussten auch zahlreiche Künstler in Frankreich
und Belgien, wie Delacroix, Géricault, Victor Hugo und Antoine Wiertz, denen der folgende Raum der Ausstellung gewidmet ist. Wichtiger als anatomische Korrektheit waren diesen Künstlern Leidenschaft und Atmosphäre.
Unter den deutschen Künstlern – denen der nächste große Abschnitt der Ausstellung gilt – weist vor allem Carl Blechen eine Nähe zu Goya und Delacroix auf. Seine Gemälde zeugen von der Lust am Schauerlichen. Das Faible für den in Deutschland als „Gespenster-Hoffmann“ umstrittenen Autor E. T. A. Hoffmann führte Blechen zu Darstellungen wie Pater Medardus (Alte Nationalgalerie, Berlin) – einem Porträt des wahnsinnigen Protagonisten der Elixiere des Teufels. Der Künstler war mit seiner Vorliebe für düster-verstörende Motive in Deutschland nicht allein. Auch bei Caspar David Friedrich finden sich Elemente des Schauerlichen: Friedhöfe, offene Gräber, verlassene Ruinen, wie von Geisterhand gelenkte Schiffe, einsame Schluchten und Wälder durchziehen sein Œuvre. Nicht nur in den Trauerszenen aus dem Skizzenbuch der Kunsthalle Mannheim ist die Todesthematik omnipräsent. Friedrich ist innerhalb der Ausstellung weiterhin mit dem großformatigen Gemälde Mond hinter Wolken über dem Meeresufer aus der Hamburger Kunsthalle und Kügelgens Grab aus den Lübecker Museen sowie mit Schiff auf hoher See mit vollen Segeln, einem seiner letzten in Privatbesitz befindlichen Gemälde, prominent vertreten.
Friedrichs Bilder sind von einer lastenden Stille durchdrungen. Eine Haltung, die in ihrer Kompromisslosigkeit Ideen des Symbolismus antizipiert, dem das folgende Kapitel des Ausstellungspanoramas gewidmet ist. Die Sprachlosigkeit wurde von diesen „Neuromantikern“ zur Idealform menschlicher Kommunikation stilisiert, die zu tiefen, grundlegenden Einsichten führe. Odilon Redons Hauptwerk Geschlossene Augen, eine Leihgabe aus dem Pariser Musée d’Orsay, formuliert diese Überzeugung eindrucksvoll. Auch in Gemälden von Arnold Böcklin, James Ensor, Fernand Khnopff oder Edvard Munch wird diese Sichtweise manifest. Doch wie schon bei den Romantikern stehen diesen zurückhaltenden Werken Arbeiten gegenüber, die Ängste und unterdrückte Leidenschaften ungebremst zum Ausdruck bringen und in ihrer Radikalität noch heute irritieren. Während Gustave Moreau, Max Klinger, Franz von Stuck und Alfred Kubin zum kunstgeschichtlichen Kanon gehören, werden an dieser Stelle der Schau auch Künstler gezeigt, die es in Deutschland noch zu entdecken gilt: Jean-Joseph Carriès, Paul Dardé, Jean Delville, Julien-Adolphe Duvocelle, Léon Frédéric, Eugène Laermans und Lucien Lévy-Dhurmer.
Den Abschluss der Präsentation markiert der von André Breton begründete Surrealismus. Breton motivierte Künstler wie Ernst, Brassaϊ oder Dalí, aus dem Reservoir des Unbewussten ihre seltsamen Bildwelten zu schöpfen, die er als Sieg der Fantasie über die „faktische Welt“ feierte. Vehement forderte Max Ernst, „die Grenzen zwischen der sogenannten Innenwelt und der Außenwelt“ zu verwischen.
Deutlich wird dies in seinen Waldbildern, von denen das Städel Museum in seiner Ausstellung vier Beispiele zeigen kann, darunter das Hauptwerk Vom nächtlichen Anblick der Porte Saint-Denis ausgelöste Vision (Privatbesitz). Der Kunsthistoriker Carl Einstein sah in den Surrealisten die Nachfolger der Romantiker und prägte den Begriff der „romantischen Generation“. Trotz dieser historischen Bezugnahme verharrten die Surrealisten keineswegs im Blick zurück. Im Gegenteil: Keine andere Bewegung war so offen für die neuen Medien; Fotografie und Film waren absolut gleichberechtigt. Besonders der Film war im 20. Jahrhundert – neben der Literatur – zum zentralen Schauplatz der schwarzen Romantik geworden. Hier hatten das Böse, der Kitzel der Angst genau wie die Lust am Schrecken und Abgründigen ihr Zuhause gefunden. In Kooperation mit dem Deutschen Filmmuseum können erstmals innerhalb einer Ausstellung im Städel Ausschnitte von Filmklassikern wie Frankenstein (1931), Dracula (1931), Faust (1926), Vampyr (1931/32) oder Der Fuhrmann des Todes (1921) gezeigt werden.
Das von einem umfangreichen Katalog begleitete Ausstellungsprojekt präsentiert das Romantische als Geisteshaltung, die ganz Europa erfasste und sich weit über das 19. Jahrhundert hinaus fortsetzte. Wie für alle Epochenbezeichnungen gilt auch für die Romantik, dass der Begriff lediglich eine Hilfskonstruktion ist, der nicht die äußeren Merkmale eines Kunstwerks definiert, sondern eine innere Haltung der Künstler beschreibt. Der titelgebende Begriff „schwarze Romantik“ lässt sich nicht bis zu seinen Ursprüngen zurückverfolgen, hat aber – wie die Romantik überhaupt – seine Anfänge in der Literaturwissenschaft. Im Deutschen ist die Bezeichnung eng mit dem Anglistikprofessor Mario Praz und dessen Veröffentlichung La carne, la morte e il diavolo nella letteratura romantica von 1930 verknüpft, die 1963 auf Deutsch als Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik erschien.
Das Projekt wird von einem umfassenden Rahmenprogramm begleitet. Passend zum Ausstellungsthema findet am 2. November 2012 mit Kunst, Musik und Bar eine lange Nacht zur „Schwarzen Romantik“ statt.
Die Ausstellung endet am 12. Januar und ist dnach vom 4. März bis 9. Juni im Pariser Musée d’Orsay zu sehen.