Karin Kneffels gemalte Zimmer im Haus am Stadtrand
Der blaue Vorhang bläht sich, fast ist der Windzug, der das Fenster zuschlug und die Topfpflanze von der Fensterbank stieß, noch spürbar. Halb begraben von einem Haufen Blumenerde liegt sie auf dem Boden. Ist keiner zuhause? Eigentlich geht uns das nichts an, aber Karin Kneffel schiebt uns als Betrachter unmerklich in die Position des Voyeurs, der im Halbdunkel vor dem Fenster steht und versucht, durch Wasserrinnsale und Regentropfen hindurch, die an der Scheibe hinunter rinnen, etwas vom diffus erleuchteten Inneren zu erfassen: Deckenlampe, Stühle, Tisch, Teppich. Von einem Moment zum anderen scheint der Künstlerin dokumentarisches Interesse für die Innenarchitektur Mies van der Rohes in einen Traum hinüber zu gleiten, in dem sie die Zimmer möbliert, ganz so als lebe die Familie des Verseidag-Direktors Dr. Josef Esters noch im Haus. Ein aufgeschlagenes Buch, ein schlafender Hund weisen auf die hin, die gleich wieder ins Zimmer zu treten scheinen. Eric Fischls überwältigendes Projekt der temporären Möblierung und Bespielung des Hauses Esters, die er fotografierte und in großformatige Gemälde münden ließ, ist die Messlatte, an der die Künstlerin sich messen lassen muss.
Die wenigen historischen Hinweise, die Kneffel im Krefelder Archiv fand, verankert sie wie Kristallisationskerne des Vergangenen in ihren Bildern und verdichtet um sie herum Situationen, in denen die museale Gegenwart des Gebäudes sich mit dessen Geschichte und eigenen Phantasien vermengt. In ihrer Malerei verschwimmen in mehrmals gebrochenen Spiegelungen auch die Grenzen zwischen außen und innen. Etwa auf jenem Bild, in dem Karin Kneffel dem diesjährigen Mies-van-der-Rohe-Stipendiaten Konraed Dedobbeleer ihre Referenz erweist. Der Türspion in dessen Bild einer Palisandertür wird von der Künstlerin zum Bullauge vergrößert, das den Blick in ein Zimmer erlaubt, in dessen Ecke ein Hund schläft. In einer runden Milchglasscheibe spiegelt sich unscharf und verzerrt dieser Innenraum mitsamt Fenster, in einer linsenförmigen Reflexion sind Details aus der Umgebung erkennbar. Virtuos mischt die Künstlerin Tageslicht, das weiße Flecken aufs Parkett wirft, und warme künstliche Lichtquelle. Gerade in dieser minutiösen Darstellung der Wirklichkeit macht die Künstlerin deutlich, dass es ihr nie um die Abbildung geht, sondern um Verhältnisse und Beziehungen. Gern spielt sie mit optischen Fallen und Täuschungen.
Über ein Jahr hat Karin Kneffel an dem Gemäldezyklus gearbeitet, 13 Bilder zeigen, wie sie sich auf das Haus Esters eingelassen hat. Eines dieser Bilder ist genau so breit und hoch wie das Fenster gegenüber der Wand und zeigt dieses Fenster, mit dem spiegelnden Glas, in dem sich wiederum das Bild selbst spiegelt . . . virtuos ineinander geschachtelte Räume, Spielformen der Realität – und jener blaue Vorhang.