Sinnliche Macht des Materials

ThyssenKrupp Steel lud den Regisseur Christoph Böll ein, den Werkstoff Stahl
und seine industrielle Verarbeitung mit Künstleraugen zu sehen.

Hier wird was bewegt.“ So lapidar fasst Rolf-Jürgen Neumann die komplexen, arbeitsteiligen Prozesse der Stahlfertigung bei ThyssenKrupp Steel (TKS) zusammen. Und kommt sogleich augenzwinkernd dem Widerspruch seines Zuhörers zuvor. Der Marketingleiter beim Global Player mit Standort Duisburg will mit seiner Aussage nur ein wenig provozieren, weiß er doch am besten um sein Understatement und zählt sich selbst längst zu den Bekehrten, denen Augen und Herz aufgingen. Der zupackende Mann der Tat, wie ihn Stahlwerker verkörpern, erlaubt sich neuerdings auch eine emotionale Sicht auf jenen Werkstoff Stahl, der gemeinhin für Härte und Kälte steht. Diesen Sinneswandel hat bei Neumann, dem alten Fuchs, der sich so leicht nichts vormachen lässt, Christoph Bölls ungewöhnlicher Film „Sinnlichkeit Stahl“ bewirkt.
Doch wie fing alles an? Bölls Neugier und Begeisterung für die ästhetischen Facetten der Stahlproduktion und Neumanns sachliche Sicht auf Kohle und Koks, Sinter und Erze stießen aufeinander. Es brauchte einige Runden, um sich auszutauschen und näher zu kommen. „Als roter Faden zog sich Bölls Faszination durch unsere Gespräche“, erinnert sich Neumann. „Er brachte nicht nur mir nahe, dass Stahl sinnlich .sein kann.“
Böll hatte keinen Werksfilm herkömmlicher Art im Sinn, der Einzelheiten des Fertigungsprozesses dokumentiert und Laien aufklärt. Er wollte den Bewegungen und Rhythmen der Werkstraße folgen und jener geheimnisvollen Choreografie für Roboter und Maschinen nachspüren. Obwohl für den Macher Neumann schwer einzuschätzen war, was am Ende herauskommen würde, ließ er sich anstecken und gab dem Regisseur den Auftrag, die heiße Phase der Stahlherstellung ins Visier, sprich vor die Linse zu nehmen. Besondere Bilder brauchten besondere Massnahmen, die Verantwortlichen sprangen über ihren eigenen Schatten und gestatteten dem kleinen Filmteam auf TKS-Firmengelände Drehorte, die für Außenstehende aus Sicherheitsgründen unerreichbares Terrain sind. So konnte die Kamera atemberaubende Bilder einfangen: gewaltige Feuerlohen, silbrig dahinfließendes Metall, Farbkaskaden.
„Ich wurde Zeuge eines grandiosen archaischen Schöpfungsaktes,“ schildert Christoph Böll seine überwältigenden Eindrücke. „Hephaistos selbst schien am Werke zu sein.“ Der Regisseur verzichtete darauf, die ganze megallomane Maschinerie zu zeigen, und darauf, Ingenieure wissenschaftlich erklären zu lassen, wie ein Stahlwerk funktioniert. „Als Regisseur muss ich das natürlich wissen, und bekam von Unternehmensseite fachkundige Beratung und Betreuung“, so Böll. „Aber den Betrachter des Films will ich nicht mit technischen Details langweilen. Ich möchte sein Herz berühren, ihm Respekt einflößen, ihn zum Staunen bringen und einladen, seine Welt mit anderen Augen zu sehen.“ Für Böll bezeugen Details des Produktionsvorgangs „die bewundernswerte, von Generationen von Arbeitern im Schweiße ihres Angesichts entwickelte Präzision und Kraft der Maschinen.“ Mit allen Sinnen setzt er sich seinen Wahrnehmungen aus und versucht, seine Empfindungen in Bilder zu übersetzen. Dabei vertraut er der verstärkenden Wirkung der Musik, mit der er die unterschiedlichen Rhythmen der Stahlfertigung poetisch überhöht. Musik schärft die filmische Struktur aus Einzeleinstellungen, Sequenzen und Schnittfolgen.
„Beeindruckt“ zeigte sich Rolf-Jürgen Neumann, als er Bölls Film erstmals sah. Er wusste, dass er das Substrat einer Fülle von Video-Material war. „Gleichzeitig entspannte ich mich“, erzählt er, „weil ich jetzt wusste, dass Bölls Film sehenswert war. Doch da es kein Imagefilm herkömmlicher Art war, stellte sich für Neumann die Frage, wie der Mehrwert für TKS aussehen könnte.
„Der Vorstand kam zu der Überzeugung, dass TKS sich hier von einer nie gesehenen, besonderen Seite zeigte und verschenkte den Film unter anderem als Weihnachtspräsent an ausgewählte Personen und Unternehmen und Verbände. Mit außergewöhnlich positiver Resonanz: der japanische Autokonzern Mitsubishi vermutete ob des innovativen Auftritts gar ein Neuorientierung von TKS auf dem Weltmarkt.
Seit dem Jahr 2000 arbeitet ThyssenKrupp Steel daran , sich vom traditionellen Schmuddel-Image der Montan-Industrie zu befreien, und in der Öffentlichkeit als Marktführer mit modernster Technik darzustellen. Mit sichtbarem Erfolg auch in der Gestaltung von neuen und restaurierten Hallen und Gebäuden. Und Bölls Filme gaben diesen Bemühungen zusätzlich einen ästhetischen Rahmen.
Teil zwei – die kalte Phase – und Teil drei – die Verarbeitung – entstanden. „Damit“, so Neumann, „ist der Ablauf von der Werkstofferzeugung bis hin zur Wertschöpfungstiefe in Bilder gefasst. Um die ganze Prozesskette darzustellen, fehlt nur noch die Rohstoff-Gewinnung.“ TKS baut in den kommenden zwei Jahren in Brasilien ein Stahlwerk, und so schließt Christoph Böll seinen Filmzyklus bald mit Teil 0, in dem er auf die Natur zurückkommt, aus deren Schoß die Energie gewonnen wird.

ThyssenKrupp Steel zeigt die Sinnlichkeitsfilme auf Wunsch im Rahmen von Werkführungen im BesucherCentrum Duisburg-Hamborn. Anfragen unter petra.hille thyssenkrupp.com

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