Willy Maywalds erste umfassende Werkschau in Deutschland gibt mit 300 Mode-Fotografien im Industriemuseum Chemnitz Einblick in den glamourösen Lebensstil der 50er Jahre.
Anmutig wie eine Göttin steht da eine dunkelhaarige Frau, ein Busen entblößt, Stoffbahnen fließen durch ihre linke Hand, die schweren Lider selbstvergessen gesenkt, ein Gänseblümchen zwischen den Lippen. Herausgehoben aus aller Atelier-Hektik der unwiederbringliche besondere Augen-Blick. Welchem Liebhaber ist diese Ikone der Fotografiegeschichte kein Begriff? Wer aber kennt den Namen des Fotografen Willy Maywald. Die Schwarzweiß-Aufnahme entstand 1937 während einer Anprobe bei Madame Grès in Paris. Der junge Deutsche fand hier die geselligen Umgangsformen, mit denen er im vornehmen Hotel seiner Eltern aufgewachsen war. Kleve, seiner Heimatstadt, hat Willy Maywald immer die Treue gehalten. Selbst in schlechten Zeiten besuchte er dort Eltern und Freunde und auch in seiner Autobiographie „Die Splitter des Spiegels“ (Verlag Schirmer und Mosel, 1985) glänzt die versunkene Kindheit im Nobelhotel seiner Eltern in der preußischen Kurstadt zauberisch. Dort wurden seine Weltläufigkeit und Offenheit geprägt. Russische Prinzessinnen und englische Lords, die als Gäste abstiegen, brachten den Duft der großen weiten Welt in seinem kleinen Kinderkosmos. Extravagante Kleider, fantastische Kostüme und Dekorationen weckten des Knaben Neugier und seine Sehnsucht nach Schönheit. Der Glamour der Film- und Theaterstars zog ihn magisch an. Willy träumte sich in jene unerreichbare Glitzerwelt, gerade zu jener Zeit, da Deutschland siegessicher in den ersten Weltkrieg taumelte, und der Junge immer häufiger mit militaristischen, nationalistischen, ausländerfeindlichen Landsleuten zu tun hatte.
Während seiner Zeit als Student an der Werkkunstschule Krefeld infizierte er sich mit dem Virus der Moderne, dürfte er sich doch 1925 eine Ausstellung mit Werken der rheinischen Expressionisten August Macke, Heinrich Campendonk und Heinrich Nauen im Kaiser-Wilhelm-Museum kaum entgehen lassen haben. An den Kunstakademien Köln und Berlin vertiefte er seine Kenntnisse moderner Kunst.
Bei der Ankunft in Paris hat der 24-Jährige das neue Frauenbild verinnerlicht, das Bauhaus-Künstler um László Moholy-Nagy in ihrer Zeitschrift „Die Neue Linie“ an der Spree propagierten. Weg von den Flappers und Girls hin zu einem Frauentyp, dessen Wesenmerkmale Anmut und Grazie sind. Diese Frauen streben nach Selbstverwirklichung, und ihre Kleidung drückt ihren Lebensstil aus. Maywald weiß, wie er sie in Szene setzen muss, als er Mitte der 30er Jahre eine Kamera in die Hand nimmt und in den angesagten Modesalons zu fotografieren beginnt. Als „sophisticated“ Dandy, nie ohne Schal oder Krawatte unterwegs, tickt er im Rhythmus der Bohème, immer zwischen Untertreibung und Exaltiertheit schwankend, und bewegt sich in den Nachtcafés und Salons der Seine-Metropole ebenso selbstverständlich wie in deren Haute Couture-Studios und Künstlerateliers. 1938 erlebt er die erste spektakuläre Ausstellung der Surrealisten, mit Salvadore Dalis Feuchtbiotop-Taxi, Max Ernsts „Witwe“ und Meret Oppenheims „Pelztasse“.
Wir schreiben den 12. Februar 1947, Frühlingsahnung vor kahlen Alleebäumen, Aufbruch liegt in der Luft, zwei Jahre nach Kriegsende. Auf der Trottoir-Kante tänzelt eine junge Frau. Kapriziös vom Körper abgewinkelt ihre schwarz behandschuhten Hände. Glockig schwingt der dunkle Rock, das enge helle Jäckchen ist zur Wespentaille gegürtet. Ein wenig exzentrisch mutet der asiatische Hut an, der ihre Augen beschattet. Ihr großer dunkler Mund glänzt verlockend. eine formvollendete inszenierte weibliche Silhouette, eine Dame auf dem Weg zum Rendezvous? Maywald hat das Studio verlassen und ist mit kleiner beweglicher Ausstattung unterwegs, um auf den Straßen der Seine-Metropole die Models nach allen Regeln der Kunst zu inszenieren: Er drapiert den Faltenwurf so kunstfertig, dass die Robe plastisch wirkt, er setzt Scheinwerfer ein, um die kostbaren Stoffe im Spiel von Licht und Schatten zur Wirkung zu bringen. Die kleinen Gesten und ungewohnten Haltungen der Schönen korrespondieren mit Formen und Linien der Umgebung und erzählen kleine Geschichten. So bringt Maywald Bewegung ins Bild und befreit die Modelle aus ihrem statischen Dasein als Kleiderpuppe. Gern möchte man als Betrachter hinter das Geheimnis dieser Frauen kommen. Es ist die erste Nachkriegskollektion Christian Diors, die der Fotokünstler Maywald da so formvollendet ablichtet, dass seine Lichtbilder um die ganze Welt gehen und den New Look berühmt machen.
Aufträge von Jacques Fath und anderen Haute Couture-Häusern wie Balenciaga, Jaques Heim und Molineux folgten und eine steile Karriere nahm ihren Lauf. Es dauerte nicht lange bis er wegen seiner ausgefallenen Fotoreportagen – etwa über Renoirs üppigem Garten in Cagnes – zu den begehrtesten Fotografen seiner Zeit avancierte. Privatleben und Beruf verschmolzen miteinander: Seine Auftraggeber zählten ihn zu ihren Freunden, und in den Ateliers vieler Künstler ging er ein und aus. So entstanden Mitte der 50er Jahre, als die schwarz gewandetenen Jünger des Existentialismus im Café de Flore von Saint Germain des Prés den Ton angaben, die unvergleichlichen Porträtfotografien von Pablo Picasso und George Braque, von Hans Arp, Marc Chagall und vielen anderen. Willy Maywalds lebte eingedenk der dunklen Seiten des Lebens umso intensiver und berauschte sich an Schönheit, Spiel, Leichtigkeit und Überfluss. Auf Kostümbällen und Atelierfesten durchtanzte er die Nächte; seine Clique traf sich im Café du Dôme, unternahm spontane Ausflüge. Man war in luxuriösen Häusern zu Gast, begnügte sich selbst mit engen Atelierwohnungen. Jeder kannte jeden in der Pariser Künstlerszene, die sich mit der „Jeunesse d’Orée“ überschnitt, und mittendrin Maywald – in seinem Element.
Wie seiner Autobiografie zu entnehmen ist, konnte er nie vergessen, was die Ausdruckstänzerin Valeska Gert zur Flucht aus Nazi-Deutschland veranlasst hatte. Sie war nur eine von vielen Freunden Maywalds, die sich wie Lion Feuchtwanger, Hans Bellmer, Walter Hasenclever und Franz Werfel vor den Verfolgungen der Nationalsozialisten an die Seine retteten. Nur für eine Atempause, denn als die deutschen Truppen Frankreich besetzten, mussten sie weiter fliehen. Er selbst wurde nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs im Internierungslager Les Milles kaserniert.
Anfang der 1970er Jahre fanden erste Ausstellungen von Willy-Maywalds-Fotographien statt, Galerien begannen sich für den Künstler zu interessieren. In den Folgejahren bis zu seinem Tod 1985 waren seine Fotografien von Sao Paulo bis Tokio überall zu sehen. Mehrmals präsentierte das Museum Kurhaus Kleve Maywald-Fotografien aus der eigenen Sammlung.
FOTO-SCHATZ
Willy Maywalds Foto-Nachlass verwaltet die Association Willy Maywald in Maisons-Lafitte bei Paris. Rund 30 000 Photographien (Negative und Silbergelatineabzüge) werden dort von Jutta Niemann, einer der Erbinnen, gehütet. Um das Werk des bedeutenden Fotografen für die Zukunft zu sichern, versuchte auch die Landesregierung NRW vor einigen Jahren, den einzigartige Fotonachlass anzukaufen. Er sollte im Museum Moyland mit einem kleineren Konvolut von Maywald-Fotografien zusammengeführt werden, das Museumsmitbegründer Hans van der Grinten „seinem“ Haus gestiftet hatte. Damals begutachtete ein Berliner Kunsthistoriker die Photosammlung und schätzte ihren Wert auf rund zwei Millionen Euro. Die Verhandlungen, die der Viersener Kunsthistoriker Dr. J. P. Kastner führte, endeten ergebnislos.