Bäume wachsen langsam. Oft werden sie älter als Menschen, aber wir sehen ihr Wachstum nicht und staunen, wenn ihre Äste den Giebel berühren.
800 große, sprich ältere Bäume wurden auf dem Areal der Landesgartenschau Kamp-Lintfort gepflanzt, dazu 270 000 Blumenzwiebeln und 22 000 Stauden, wie den Verlautbarungen von Stadt und Land zu entnehmen ist. Die Planung der Landschaftsarchitekten Berlin (BBLZ), die vor drei Jahren von der Jury zum Gewinner erkoren wurden, folgte wohl von Anfang an konventionellen Mustern, die sich seit dem Beginn dieser seit den 1970er Jahren stattfindenden Veranstaltungsform herausgebildet haben. Stadtentwicklung unter ökologischen Aspekten sollte von Anfang an im Zentrum stehen, und so hätte diese Schau auf dem Gelände der stillgelegten Zeche Friedrich Heinrich, auf der sich auch Kommunen vom Niederrhein präsentieren, zu einem hochgemuten Zukunftslabor werden können. Ein Hotspot zweier entgegengesetzter Gedankenbewegungen: In der postindustriellen Gegenwart verkörpert diese LaGa ein Nichtmehr und Nochnicht, von dem aus der Blick zurückgeht zur industriellen Kohleförderung, die hier von 1912 bis 2012 zeitweise über 8000 Kumpeln und ihren Familien die Existenz sicherte, und tiefer, ins Mittelalter, als die Zisterzienser-Mönche von Kloster Kamp Land urbar machten, Bewässerungssysteme erfanden und die Bibel vervielfältigten, und noch unvorstellbar viel weiter zurück ins Zeitalter des Karbon, in dem das schwarze Gold entstand. Auf dem linearen Zeitstrahl voraus hätte der künftigen Epoche des Kampfes gegen die Folgen des Klimawandels in der Natur Raum gegeben werden müssen für spielerische Phantasien und Strategien. Doch nichts von alledem.
Beim Zechen-Rückbau verwandelte sich das Werksgelände in eine wüste Mondlandschaft, und betrachte ich heute die fotografierten Krater und Schuttkegel gleiten meine Gedanken unwilllkürlich ab in ein anderes Fantasy-Szenarium, das 358,9 Millionen Jahre zurückliegende Zeitalter der Sumpflandschaften, in denen sich Schachtelhalm-Wälder erstreckten so weit das Auge reichte. Sie stoßen in meinem übersemiotisierten Hirn andere Bilder an, Details eines Gemäldes : Hieronymus Boschs „Der Garten der Lüste“, auf dessen drei Tafeln Paradies und Hölle die Phantasie eines utopischen Liebestraums flankieren. Die christlich motivierte Bilderzählung wählt den Garten als übergeordnete Metapher. Der Gläubige hatte es, so die Botschaft, selbst in der Hand, was ihn im Jenseits erwartete. Im Diesseits können Menschen, gläubig oder ungläubig, mitbestimmen, ob diese Welt zur Hölle oder lebenswerter wird. Welches Potential steckt doch in dieser Welt, das wir Menschen weiter entwickeln sollten. Treffend für unsere Tage, in denen die Schöpfung, deren Urheber ich mit Spinoza für die Natur selbst halte, gefährdet ist. Seit Stürme, Dürren und Überschwemmungen den Globus in immer kürzeren Intervallen heimsuchen, sollte keine Gelegenheit versäumt werden, nach Lösungen zu suchen – auch im vergleichsweise kleinen Feld einer Landesgartenschau. Wir schwitzen, lechzen nach Wasser und fliehen es , ducken uns unter Orkanwalzen, wir erleiden ein globales Phänomen am eigenen Leib, aber bei der Umsetzung dieser Erfahrung in Erkenntnis und gesellschaftliche Praxis tun sich bürokratische Strukturen schwer.
Populistische Politiker unserer Tage leugnen oder ignorieren den Klimawandel, stellen ihn als eine Erfindung der Massenmedien hin und spannen so Mehrheiten für ihre Gier nach Macht ein, wie im Mittelalter die des Lesens und Schreibens Gläubigen durch abschreckende oder ermunternde Fresken in den Gotteshäusern auf den „rechten“ Weg gebracht wurden.
Die LaGa bietet neben Liegestühlen für Eltern und andere Fußmüde auf spärlich sprießenden Wiesen die gewohnten Kinderspielplätze und könnte doch pionierhaft vorpreschen und durch pädagogisch begleitete Aktionen den Jüngsten verantwortungsbewusstes Verhalten in der Natur nahebringen. Nicht weniger als ihre Zukunft steht auf dem Spiel, warum also nicht schon Kinder im Vorschulalter für die Fragilität der Natur sensibilisieren?
Vom 25 Hektare großen Zechenpark führt ein zweieinhalb Kilometer langer Weg zum Kloster Kamp und dessen rekonstruierten Barockgarten. Der Gärtner Le Nôtre entwarf Mitte des 17. Jahrhunderts die ersten Parkanlagen, in denen Pflanzen in Ornamente gezwungen wurden. Die Kunstfertigkeit zur höheren Ehre Gottes und der absoluten Herrscher jener Epoche gipfelte in Riesenperücken, auf denen Gärten in Szene gesetzt wurden. Die Blumenpracht vieler einstiger – erst um 1900 der Öffentlichkeit zugänglichen – Schlossgärten hat sich in städtischen Blumenrabatten fortgesetzt, deren Pflege freilich heutzutage angesichts des Mangels an Wasser und finanzieller Mittel für die gärtnerische Pflege problematisch ist. Wie unzeitgemäß diese Gartenformen sind, offenbarte schon die abgespeckte rekonstruierte Version des Kamper Barockgarten im Jahr 1990, aktuell aber warnen führende Botaniker von einer zunehmenden Versteppung, und das sollte auch bei dieser LaGa von den verantwortlichen Architekten nicht ignoriert worden sein.
Als ästhetisches Ärgernis (neben anderen) stehen überdimensionale bunte Plastikblumen herum, die darauf hinweisen, dass sie – wie verdienstvoll ! – aus wiederaufbereitetem Kunststoff gefertigt wurden. Und leise brummen die Rasenmäh-Roboter dazu. In unansehnlichen Kleinkuben aus Kunststoff sollen sich Nachbarstädte und lokale / regionale Initiativen präsentieren, die meisten von ihnen sind verwaist. Die punktuell aufgebauten Schrebergarten-Idyllen schrecken ab.
Die denkmalgeschützten Gebäude, eingekleidet von Gerüsten und Planen, die den Blick auf die Backsteinbauten stören, treten merkwürdig zurück, während sich die Neubauten vordrängen, die, groß plakatiert, als Zukunftsprojekt angepriesen werden. So verdienstvoll es angesichts herrschender Wohnungsnot sein mag, neuen Wohnraum zu schaffen, hätte man sich auch hier mehr Wagemut gewünscht: Unorthodoxe nachhaltige Lösungen für schmale Brieftaschen wie sie etwa im Projekt Tiny Houses verwirklicht wurden, hätten der Umnutzung des alten Zechengeländes gut zu Gesicht gestanden und echte Impulse in Richtung Stadtentwicklung gesetzt.
Offensichtlich sind wir Menschen in unserer – im Vergleich zu Tagesfliegen und Stubenküken relativen Langlebigkeit – ohne Sensorium für Prozesse, die unsere eigene Existenz überschreiten. Die LaGa in Kamp-Lintfort ist eine vertane Möglichkeit. Nicht das Geld fehlte, noch die Zeit, sondern schlicht eine Idee.
Seuchenbedingt dürfen die Besucher mit ihrem Eintrittsticket im Gegenwert einer Kinokarte nicht einmal in dem alten Zechenturm hinauffahren zur Aussichtsplattform, aber vielleicht ist das ganz gut bei den doch eher düstere Aussichten.